Kultur / Rezensionen
16.06.2023
Die Geister, die niemand rief
Geistercondo von Jens Karbe ist ein echter Geheimtipp
von Christian Dolle
In Bangkok wird ein neuer Wolkenkratzer gebaut. Um die Luxus-Apartments zu verkaufen, fliegt PR-Berater Max nach Thailand und mietet sich natürlich auch gleich in dem Condo ein. Schon in der ersten Nacht allerdings geschehen mysteriöse Dinge, die ihn stutzig machen. Sind es wirklich die Geister, die sich gegen das Bauprojekt, für das viele Hütten weichen mussten, wehren wollen?
„Geistercondo“ ist der erste Roman von Jens Karbe, der als freier Journalist arbeitet und den es seit einigen Jahren in die Welt hinaus treibt. Er lebte schon in London, Istanbul, Tokio oder eben Bangkok. Genau das merkt man auch, denn der Roman erzählt sehr viel über die Stadt, über Traditionen und Veränderungen, über Glaube an Geister und Vorbehalte gegen westliche Investoren.
Clash der Kulturen
Es ist eben auch ein Clash der Kulturen, der hier beschrieben wird, ein kritischer Blick auf die Globalisierung und einen Kapitalismus, der rücksichtslos nur auf Erfolge blickt und Befindlichkeiten vollkommen außer acht lässt. Ebenso ist es eine Abrechnung mit PR-Sprech und -Gebaren und Marketing, das alles verspricht und dabei zur Not auch über Leichen geht.
Damit bekommt der Roman gesellschaftliche Aspekte, wird in gewisser Weise zur Abrechnung mit westlicher Arroganz, hat seine sarkastischen Momente und wirkt stellenweise entlarvend. Karbes Sprache ist präzise, bringt Dinge auf den Punkt und treibt die Handlung immer voran. Eine große Stärke, die leider bei selbstverlegten Büchern keine Selbstverständlichkeit ist. Dies ist definitiv eines der positiven Beispiele für Selfpublishing.
Mystery und Spannung
In erster Linie ist „Geistercondo“ aber kein Gesellschaftsroman oder eine Satire, sondern Mystery und Spannung. Sind die Geister real? Wehren sie sich wirklich gegen den Bau? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter? Hauptfigur Max ist 14 Tage in Thailand, wie gesagt wird er schon am ersten davon mit seltsamen Vorkommnissen wie unter anderem dem spurlosen Verschwinden seines Vorgängers konfrontiert. Von da an entwickeln sich die Dinge mit jedem Tag rasanter, lassen ihn mit immer neuen Fragen zurück und konfrontieren ihn mehr und mehr mit dem Glauben der Einheimischen an ihre Geister.
„Wenn ein neues Haus gebaut wird, werden die Naturgeister gestört, die auf dem Baugrund wohnen. Um sie nicht zu erzürnen, bietet man ihnen ein neues Heim an, ein Spirit House“, lässt er sich erklären. Auf originelle Weise geht es somit auch um umsichtigen Fortschritt und Nachhaltigkeit und um die große Frage, was unser unbedingter Drang nach Wachstum mit unserer Welt macht.
Gerade diese Kombination aus einer mitreißenden Story und ernsten Botschaften, die aber nie zu plakativ daherkommen, macht „Geistercondo“ zu einem absolut lesenswerten Buch, zu einem besonderen Geheimtipp, der viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat, und mit dem noch einmal alles drehenden Finale auch zum Debüt eines Autors, von dem hoffentlich noch einiges mehr kommen wird.
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