Kultur / Rezensionen

31.03.2023

Spiele auf Leben und Tod


Rezension zu „Alice in Borderland“

von Christian Dolle

Wolltest du, als du in der Pubertät warst, nicht manchmal auch raus aus allem? Am liebsten aus diesem Alptraum namens Realität aufwachen und in einer besseren Welt sein? Ehrlich gesagt wünsche ich mir das heute noch manchmal. Nun stell dir vor, es passiert. Du siehst ein grelles Feuerwerk und bist plötzlich an einem anderen Ort. In einer Stadt, die zwar real aussieht, aber völlig menschenleer ist. Einem Lost Place gleich, du scheinst der Einzige dort zu sein.

Dann aber stellst du fest, dass du eben nicht allein bist. Auch andere kamen auf ebenso unerklärliche Weise hierher. Und ihr alle müsst Spiele spielen, um hierbleiben zu dürfen. Grausame Spiele, perfide Spiele, Spiele um Leben und Tod. Manchmal jagt euch ein Killer durch ein Hochhaus, manchmal müsst ihr auch gegen die anderen antreten und euch die beste Strategie ausdenken, um nicht zu verlieren – das Spiel und auch euer Leben. 

Das ist die Prämisse des Manga „Alice in Borderland“, für die Protagonisten geht es ziemlich schnell zur Sache, denn sie haben keine andere Wahl als sich auf das Borderland einzulassen. Erzählerisch eine Art Battle Royale, der Vergleich zum Buchklassiker von Koushun Takami liegt auch gar nicht mal so fern. Auch hier geht es schon bald um Freundschaft, um Loyalität, um die Zwickmühle, alle Moral auf- und sich dem Recht des Stärkeren hinzugeben. 

Die Regeln des Borderland

Doch im Borderland herrschen nicht nur Regeln für jedes einzelne Spiel, das an den Abenden an immer wechselnden Orten stattfindet, sondern auch übergeordnete. So sind die Spiele in Kategorien und Schwierigkeitsgrade eingeteilt. Karo beispielsweise steht für Intelligenz und Strategie, Pik für körperliche Ausdauer und Kraft. Um aus dem Kreislauf zu entkommen, so heißt es, musst du alle Karten aller Spielfarben erringen.

Selbstverständlich bleibt es nicht beim Aneinanderreihen verschiedenster tödlicher Spiele, auch wenn die einzelnen sehr abwechslungsreich und sehr nachvollziehbar dargestellt werden. Denn die Protagonisten suchen eigene Wege, um mit dem skurrilen Leben in dieser Welt klarzukommen. Sie versuchen sich hier Machtstrukturen aufzubauen, die sie in der Realität nicht hatten oder aber wollen unbedingt hinter die Kulissen des Borderland blicken, wollen wissen, was es damit auf sich hat, wer ihnen all das hier antut, wollen im besten Falle Rache. 

Jeder kann jederzeit sterben

Somit sorgen die Spiele selbst für Spannung, hinzu kommt aber ein übergeordneter Spannungsbogen, der das große ganze Mysterium betrifft. Einige Figuren wachsen ans Herz, sollten es aber nicht zu sehr denn immer gilt: Jeder von ihnen kann jederzeit sterben. 

All das macht diese Mangareihe auf unterschiedlichen Ebenen interessant, es passiert immer wieder Unvorhergesehenes und alles ist so erzählt, dass sich Antworten und neue offene Fragen stetig abwechseln und es kaum erlauben, zwischendurch mal richtig aufzuatmen. 

Hinzu kommen die Zeichnungen, die einerseits ziemlich deutlich sind und alles sehr bildlich werden lassen, sich aber nicht in eine Splatter- oder Gorerichtung entwickeln, so dass die Gewalt sich immer der Geschichte unterordnet und es nie den Anschein hat als sei sie nur Mittel zum Zweck. Das ist sogar besser gelöst als in der Battle Royale-Mangaversion, wobei da ja auch schon dem Roman zu viel Freude an blutigen Szenen nachgesagt wurde. „Alice in Borderland“ macht das sehr geschickt, wobei sich das hier hier ausdrücklich auf die Mangareihe bezieht, nicht auf die Fernsehserie.

Es geht eben immer wieder um psychische Grenzsituationen, in denen du dich fragen kannst, wie du dich in dem Moment entschieden hättest. Und eben auch immer wieder um die Erkenntnis, dass die Realität vielleicht doch nicht die schlechteste aller möglichen Welten ist.

 

Diese Rezension gibt es auch als Video:

 

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