Kultur / Rezensionen

22.03.2023

Haftbefehl gegen Präsidenten


Kampf zwischen Macht und Moral

von Christian Dolle

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehl gegen Wladimir Putin erlassen. Der russische Präsident soll sich für die Kriegsverbrechen in der Ukraine verantworten, insbesondere die Verschleppung von Kindern wird ihm vorgeworfen. Für viele Experten ist es ein starkes politisches Signal, einige poltern auf Twitter, dass dann doch auch US-Präsidenten angeklagt werden müssten, für die meisten von uns ist es vor allem ein Schauspiel auf der Bühne der Mächtigen, das sehr weit weg erscheint.

Spannend ist, dass das Thema, wie so viele andere in der Literatur, schon einmal stattfand, wenn auch mit anderen Vorzeichen. Der Autor Marc Elsberg hat all dies nämlich in seinem Thriller "Der Fall des Präsidenten" mehr oder weniger exemplarisch durchgespielt. Daher hier sozusagen aus aktuellem Anlass die Rezension zu diesem Roman, die vor zwei Jahren entstand, als Marc Elsberg (zusammen mit Dietmar Wunder als Sprecher) beim Mordsharz-Festival zu Gast war: 

Am Flughafen in Athen wird der ehemalige US-Präsident verhaftet. Im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs. Kriegsverbrechen werden ihm vorgeworfen. Völlig unerwartet und schockierend für alle Anwesenden, ein internationaler Skandal, wenn die Welt es mitbekommt. Daher werden sofort alle diplomatischen Strippen gezogen, um den Staatsmann so schnell wie möglich und vor allem mit so wenig Aufsehen wie möglich aus seiner misslichen Lage zu holen, notfalls eben mit Drohungen, die das politische und wirtschaftliche Miteinander der USA und Europas auf die Probe stellen.

Doch in der heutigen Zeit lässt sich eine solch nie dagewesene Ungeheuerlichkeit natürlich nicht vertuschen, ein Video taucht im Internet auf und verbreitet sich rasend schnell. Jetzt heißt es, im Hintergrund klug zu agieren, um eine Eskalation, vor allem aber einen Prozess gegen den Präsidenten und damit gefühlt gegen den Hüter der freien Welt zu verhindern. 

Allein diese Ausgangslage in Marc Elsbergs Thriller „Der Fall des Präsidenten“ ist ebenso gewagt wie absurd. Gewagt, weil in der Realität so schlicht unvorstellbar, absurd, weil natürlich die Frage gestellt werden muss, warum gerade die USA den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht anerkennen. Dabei ist der Hintergrund wie so oft bei Marc Elsberg ebenso real wie brandaktuell, die Trump-Regierung hatte die Chefanklägerin mit Sanktionen belegt, allein schon, weil sie mögliche US-Kriegsverbrechen in Afghanistan untersuchte. 

Diese Diskrepanz zwischen dem Anspruch der USA als Hüter der freien Welt und dem kalten Hinwegsetzen über internationale Statuten treibt Elsberg auf die Spitze. Seine Anklägerin nennt er Dana Marin, verpasst ihr eine persönliche Motivation durch Kindheitserfahrungen im Kosovokrieg und spielt die Verhaftung des in diesem Fall fiktiven Präsidenten gut recherchiert durch. 

Vor Gericht wird ganz im Stil des klassischen Gerichtsthrillers verhandelt, ob es überhaupt zur anklage kommen darf, hinter den Kulissen werden die diplomatischen und auch militärischen Möglichkeiten ausgelotet. Zudem tobt in den Medien und damit in der Öffentlichkeit ein Krieg um die Deutungshoheit dieser Angelegenheit und natürlich werden Dana Marin und alle in ihrem Umfeld diffamiert, eingeschüchtert und bedroht. 

Wie immer in seinen Büchern entwirft Marc Elsberg ein Szenario, das im Grunde schon morgen eintreten könnte und spielt es konsequent und sehr detailliert durch. Alles, was er schreibt, wirkt akribisch wirklichkeitsnah konstruiert, was es umso erschreckender macht und abseits der eigentlichen Handlung viele Fragen zum fragilen Gefüge der internationalen Politik und eben insbesondere zur Rolle der USA in der Welt aufwirft. Es geht letztlich um nicht weniger als den Kampf zwischen Macht und Moral, wohl eines der wichtigsten Themen unserer Zeit oder der Menschheit überhaupt.

Besonders erfreulich ist aber, dass Marc Elsberg mit Dana Marin eine lebensecht wirkende Hauptfigur geschaffen hat, die nicht nur ihre Funktion als Mittlerin für den Leser erfüllt. Besonders eine Szene, in der Dana sich mit dem Taxi zum Gericht fahren lässt und dabei mit dem Fahrer ins Gespräch kommt, zeigt, dass ihm auch die kleinen, zwischenmenschlichen Szenen gelingen. Der Taxifahrer macht deutlich, dass er nicht auf ihrer Seite ist, weil er sich vor den Konsequenzen eines solchen Prozesses fürchtet. Natürlich weiß er, dass die Kriegsverbrechen in Afghanistan zu verurteilen sind, ist aber fest überzeugt, dass man immer nur die Kleinen hängt, während man die Großen laufen lässt, und dass ein Prozess gegen die USA die nächste Wirtschaftskrise nach sich zieht, von der dann auch er und seine Familie betroffen sein wird.

In Szenen wie dieser wird immer wieder deutlich, wie brisant das Thema ist, weil es um äußerst plausible Szenarien geht, die genau wie in Elsbergs anderen Büchern „Blackout“, „Zero“, „Helix“ und „Gier“ letztlich jeden Einzelnen betreffen können. Er legt mit seinen Thrillern den Finger in Wunden, die viele vielleicht nicht als solche erkennen und regt damit immer wieder wichtige Diskussionen an. 

Ganz aktuell ist übrigens Marc Elsbergs neuester Thriller "°C - Celsius" erschienen, in dem es um die Erderwärmung geht.

Die folgenden Bilder können Sie vergrößern, wenn Sie ein Eseltreiber-Abo haben:


 

Anzeige