Kultur

02.09.2022

„Kriminalliteratur lässt sich extrem weit fassen, leider denken viele in sehr engen Kategorien“


Interview mit Zoë Beck

von Christian Dolle

Bereits zweimal war die Autorin Zoë Beck mit ihren Büchern beim Mordsharz-Festival zu Gast. Immer wurde es politisch, gesellschaftliche Fragen wurden aufgeworfen, immer verpackt in spannende Thriller. 
Diesmal wird sie aus „Paradise City“ lesen, das in einem Deutschland der Zukunft spielt, in der die Menschen in smarten Megacities leben, die ihnen viele alltägliche Entscheidungen abnehmen. Doch wehe, jemand stellt zu viele Fragen

Anders als im Buch dürfen wir zum Glück alles fragen und einige Dinge wollte ich von  Zoë unbedingt wissen:

Die erste Frage geht an Teenage-Zoë: Axl Rose oder Slash? 

Zoë Beck: Duff McKagan. 

Beim Lesen von „Paradise City“ hatte ich jedenfalls die ganze Zeit einen Soundtrack im Ohr. Wie ist das bei dir? Brauchst du Musik zum Schreiben? 

ZB: Ja, brauche ich, jedes Buch hat einen anderen Soundtrack beim Schreiben, manchmal verändert er sich auch. Der Song „Paradise City“ war übrigens kein Teil davon, der kam tatsächlich erst später mit der Suche nach dem richtigen Titel. 

Was ist „Paradise City“ eigentlich? Es steht zwar Thriller drauf, aber ist es nicht doch eher Science Fiction bzw. Cyberpunk? 

ZB: Aber es ist auch eine Kriminalhandlung. Kriminalliteratur lässt sich als Begriff extrem weit fassen, leider denken viele da nur in sehr engen Kategorien. Und Crossover von verschiedenen Kategorien finde ich wunderbar, ich tu mir schwer mit Schubladen, da wird es sonst zu schnell zu formelhaft. 

Abgesehen davon ist es aber auch eine Marketingentscheidung, welches Genre auf das Buch geschrieben wird. Im Buchhandel gibt es Warengruppen, da müssen Bücher einsortierbar sein, die Buchhandlung will wissen, wo sie einen Titel hinstellen soll, und die Leser*innen wollen ebenfalls vorab eine Orientierung. Das führt natürlich auch dazu, dass manche enttäuscht sind, weil sie etwas völlig anderes erwartet haben. Gleichzeitig gibt es viele Leute, die sagen: Eigentlich lese ich keine Krimis/Thriller/Spannungsliteratur, aber dieses Buch hat mich total überrascht, und es hat mir sehr gut gefallen. Es gefällt mir natürlich, wenn ich auch diesem Weg dann auch Menschen davon überzeugen kann, dass ihre Vorstellung von Kriminalliteratur bislang etwas zu kurz gefasst war. 

Manchmal habe ich mich gefragt, ob du eine Welt völlig ohne moderne Technologie als Idealbild ansiehst? Könntest du ohne alle Annehmlichkeiten und völlig im Einklang mit der Natur leben? 

ZB: Keine moderne Technik? Ich würde keine drei Stunden überleben! (lacht) Moderne Technik bestimmt einen Großteil meines Lebens, und ich vermute, dass moderne Technik auch daran beteiligt war, dass ich heute noch lebe. Ich habe und hatte einige gesundheitliche Herausforderungen, da hätte mich das Leben im Einklang mit der Natur ganz ohne Technik und Forschung und Pharma schon vor vielen Jahren glatt umgebracht. 

Was denkst du, welches unsere wichtigsten Herausforderungen in den kommenden Jahren sein werden? 

ZB: Du meinst, wenn wir noch ein paar Jahre haben? Das Wichtigste ist, dass wir die Klimakatastrophe in den Griff bekommen. Sind wir schon über den tipping point, habe ich mich heute gefragt? Was da um uns herum gerade geschieht – kann es etwas Wichtigeres geben? Einige Parteien werden jetzt sagen: Aber die Wirtschaft! Nur, wenn wir keinen bewohnbaren Planeten mehr haben, nicht mehr genug Trinkwasser, keine saubere Luft … Ich bin da tatsächlich extrem pessimistisch, was die Zukunft angeht. Deutlich pessimistischer als in meinem Roman. 

Welchen Stellenwert hat eigentlich die Kultur in einer Gesellschaft, die sich nach Jahren des Wohlstands plötzlich wieder mit profanen existenziellen Fragen beschäftigen muss? 

ZB: Das ist vermutlich sehr zweischneidig. Ein solcher gesellschaftlicher Zustand wird großartige und wichtige neue Kunstwerke hervorbringen. Aber wahrscheinlich wird es dafür kein Geld geben, und es wird wenige Menschen geben, die sie zu würdigen wissen, weil sie sich eben mit sich selbst beschäftigen. Dabei wäre es gerade in dieser Situation wichtig, den Blick wenigstens ab und an von sich zu nehmen. 

Genau wie dein Buch passt auch du nicht nur in eine Schublade, du bist nicht nur Autorin, sondern auch Verlegerin und Übersetzerin und trägst in diesem Jahr den Titel „BücherFrau des Jahres“. Was bedeutet das eigentlich? 

ZB: Ich bin auch noch Dialogregisseurin. Ich arbeite daran mit, dass es deutsche Synchronfassungen von Filmen und Serien gibt. Umso überraschter war ich, dass ich zur „BücherFrau des Jahres“ gewählt wurde! Andererseits ist das ja auch eine Art des Geschichtenerzählens. Der Titel „BücherFrau des Jahres“ wird vom Netzwerk der BücherFrauen verliehen. Ich habe anfangs mal gedacht: In der Buchbranche gibt es doch viel mehr Frauen als Männer, warum muss man sich extra vernetzen? Und dann habe ich über die Jahre gemerkt, dass es extrem wichtig ist, sich zusammenzutun und gegenseitig zu unterstützen, sichtbar zu werden und zu bleiben, auf Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen hinzuweisen usw. Also bin ich Mitglied geworden und – ja, irgendwie fand man es richtig, mich zur „BücherFrau“ zu wählen. Ich finde bestimmt noch raus, warum! 

Könntest du auf eine deiner beruflichen Tätigkeiten verzichten, wenn die anderen so viel einbringen, dass du dir ein großes Apartment im Luxusviertel von Paradise City leisten könntest? 

ZB: Alles, was ich tue, macht mir großen Spaß. Von daher wüsste ich gerade nicht, womit ich aufhören wollen würde … 

Sehr gerne würde ich vieles noch vertiefen, aber das tun wir dann im Anschluss an deine Lesung am Freitag, 16. September, um 20 Uhr im Tabakspeicher in Nordhausen im Liveinterview. 
Daher nur eine letzte Frage noch: Warum sollten die Leute hinkommen und warum sollten sie „Paradise City“ unbedingt lesen? 

ZB: Oh. Selbstmarketing? Bin ich ganz schlecht drin. Sag du doch bitte, warum ihr mich eingeladen habt? Also ich hoffe, dass die Leute, die kommen, einen interessanten, spannenden Abend haben! 

Weil ich, als ich „Paradise City“ gelesen hab, eigentlich sauer auf dich war. Klar, es war spannend, aber eben auch viel zu schnell vorbei und ich wollte so viel mehr über jene Zukunft wissen, die du im Buch beschreibst. Das erhoffe ich mir jetzt bei Mordsharz.

Danke, dass ich durch das Interview schon ein bisschen neues Futter bekommen habe.

 

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