Kultur / Rezensionen

14.07.2022

Verbrechen, die ganz normale Leute aus Verzweiflung begehen


Eric Berg liest bei Mordsharz in Wernigerode aus „Die Toten von Fehmarn“

...Christian Dolle - Mordsharz

Als Jugendliche spielten Doro und ihre Freunde eine Art „Wahrheit oder Pflicht“, bei dem sie ihre größten Geheimnisse aufschrieben. Jetzt, Jahrzehnte später gibt es einen Mord und Doro kehrt zurück nach Fehmarn, wo sie mit der Vergangenheit konfrontiert wird. Sie findet heraus, dass die Geheimnisse von damals etwas mit dem Mord von heute zu tun haben und dass einer ihrer Freunde von damals sehr viel mehr über die Geschehnisse weiß.

Ein Krimi auf der Ostseeinsel Fehmarn, Figuren, die auf den ersten Blick völlig normal, ja vielleicht sogar langweilig wirken, eine Ermittlerin, die als Journalistin arbeitet und eher zufällig anfängt, in diesem Fall zu ermitteln. All das klingt auf den ersten Blick nicht sonderlich spektakulär. Im Grunde genau wie Eric Berg selbst, der bei seinem ersten Besuch bei Mordsharz – 2016 in Goslar – durch seine zurückhaltende Art und dem klaren Fokus auf die Geschichte seines Krimis „Die Schattenbucht“ auffiel.

Seine Fälle, so erzählte er damals, seien nicht die Taten böser Serienkiller oder was auch immer, sondern Verbrechen, die ganz normale Leute aus Verzweiflung begehen, weil sie nicht anders können. Nun gut, er sagte auch, dass er über immer neue Protagonisten und keinen wiederkehrenden Kommissar schreiben mag. „Die Toten von Fehmarn“ ist inzwischen allerdings schon der dritte Roman mit Gerichtsreporterin Doro Kagel... geschenkt.

Die Sache mit den normalen Menschen und den bedrückenden Umständen, die sie zu ungewolltem Handeln zwingen, hat er allerdings auch in diesem neuen Buch beibehalten. Ihre Freunde von damals, die Doro wiedertrifft, führen auf den ersten Blick ganz normale Leben, sind schockiert über den Mord an einem von ihnen, ganz genauso wie sie als Jugendliche schockiert über den Mord an einem überall bekannten und dennoch allen unbekannten Sonderling waren. 

Jener Mord von damals war der Grund, warum eines der auf Zettel geschriebenen Geheimnisse lautete: „Ich weiß, wer den Bolenda umgebracht hat.“ Können somit die anderen Zettel einen Hinweis geben, wie alles zusammenhängt? „“Ich hasse jemanden, der mir nichts getan hat“, heißt es auf einem davon, „Eines Tages werde ich jemanden von uns in die Pfanne hauen“ auf einem anderen. 

Doro gräbt in der Vergangenheit, um die jeweiligen Geheimnisse den Freunden zuzuordnen. Dabei muss sie erfahren, dass es nicht die einzigen Abgründe sind, die sie in sich tragen und zu denen seit Kindertagen noch manch andere hinzugekommen sind. Und es geschehen weitere Morde, weil irgendjemand verhindern will, dass alle Wahrheiten ans Licht kommen. 

Die Geschichte an sich zieht seinen Reiz aus dem Aufrollen früherer Ereignisse und dem Aufrollen eines fast vergessenen Falles. Immerhin war der Tote von damals ein Sonderling, den niemand außer seiner Mutter wirklich vermisste. Für die Jugendlichen war das Auffinden der Leiche ein Schock, brachte ihr Leben offenbar aber nicht sonderlich aus den Fugen. Literarisch ist das kaum etwas Neues, erinnert ein wenig an die Stimmung in Stephen Kings „Die Leiche“ bzw. „Stand by me“ und hat daher durchaus einen Reiz. 

Wirklich besonders macht dieses Buch aber Eric Bergs Gespür für seine Figuren. Er nimmt sich jede einzelne vor, stellt sie in ihrer nach außen getragenen Normalität vor, um ihnen dann geradezu genüsslich die Maske vom Gesicht zu zerren und alles ans Licht zu bringen, was sie für immer verbergen wollten. Und das sind im Grunde nur jene Geheimnisse, die jeder von uns mit sich herumträgt, die allein noch niemanden zum Mörder machen. In ihrer Gesamtheit allerdings ergeben sie eine tödliche Mischung und lassen auch immer wieder über das Wesen des Menschen sinnieren und nach moralischen Fixpunkten fragen. 

Wer nun Lust bekommen hat, einige dieser Figuren kennenzulernen, sollte sich den 14. September vormerken, denn dann ist Eric Berg beim Mordsharz-Ferstival in der Remise in Wernigerode zu Gast. Ab 21 Uhr wird er aus „Die Toten von Fehmarn“ lesen. Zuvor stellt die Harzer Hammer-Preisträgerin vom vergangenen Jahr, Frauke Buchholz, nach der Verleihung des diesjährigen Preises um 19.30 Uhr ihren neuen Krimi „Blutrodeo“ vor und davor liest um 18 Uhr Mario Schulze aus „Wagen 8“. 


Eric Berg

 

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