Kultur / Rezensionen

06.06.2022

Wenn Christus auf die Erde zurückkehrt


Cornelia de Pablos – 144 000: Die Versiegelten

von Christian Dolle

Wenn Jesus auf die Erde zurückkehrt, werden nur 144 000 Menschen gerettet werden, heißt es. Nun ist ein Kind geboren, die Prophezeiung ist eingetreten heißt es, und die Welt gerät in Aufruhr. Es ist eine zukünftige Welt, eine dystopische Welt, eine Welt, in der sich die Reichen und die Kirche hinter dicken Mauern verschanzt haben, während der Rest der Bevölkerung in einer niedergegangenen Zivilisation dahinvegetiert.

Es ist ein von religiösen und gesellschaftlichen Theorien durchzogener Endzeitroman, den Cornelia de Pablos mit „144 000 – Die Versiegelten“ vorlegt. Eine zukünftige Welt, die unser aller dunkelsten Befürchtungen entsprungen sein könnte, gepaart mit Bruchstücken aus der biblischen Offenbarung, wie sie auch bei vielen Sekten wiederzufinden sind, wenn es dort um das Ende der Welt geht. Durchaus vielversprechend also, doch es kommt eben sehr auf das Vermögen des Autors an, was daraus wird.

Jugendliche in einer von Knappheit geprägten Welt

Cornelia de Pablos ist eigentlich Schauspielerin, wirkte in zahlreichen TV-Filmen und -Serien mit. „144 000“ ist ihr Debütroman, ansonsten widmet sie sich der Gewaltprävention und gibt Selbstverteidigungskurse für Kinder. Letzteres ist vermutlich auch ein Grund, warum ihre Protagonisten Jugendliche sind, nämlich eine wild zusammengewürfelte Gruppe, die sich in dieser harten und von allumfassender Knappheit geprägten Welt irgendwie durchschlagen müssen. 

Ausgerechnet einem von ihnen, Joshua, fällt das Kind in die Hände, das die sogenannten Apostel und damit auch die meisten Erwachsenen für den wiedergeborenen Christus halten. Während nun um sie herum das Chaos ausbricht, da jeder unbedingt zu den 144 000 Auserwählten gehören will, geht es den Kids bald vor allem darum, sich selbst und das Baby zu schützen. Ob es da eine so gute Idee ist, es ausgerechnet der Regierung anzuvertrauen?

Erstlingswerk mit Schwächen

Zunächst einmal muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass der Roman trotz der zumeist jungen Figuren kein Jugendbuch ist. Es kann durchaus als solches gelesen werden, doch viele Anspielungen – beispielsweise auch auf die Rothschilds als im Verborgenen herrschender Familienclan – richten sich eindeutig an erwachsene Leser. 

Diese Anspielungen sorgen auch dafür, dass anfangs gar nicht so klar ist, ob der Roman in eine gewisse ideologische Ecke abdriftet, was dann aber zum Glück nicht weiter vertieft wird. Leider ist dem Schreibstil von Cornelia de Pablos das Erstlingswerk oft deutlich anzumerken. Oft verheddert sie sich in erklärende Passagen, die den Lesefluss ein wenig ausbremsen, springt etwas ungeschickt von einer Figur zur nächsten oder verliert sich in der Beschreibung von Äußerlichkeiten, wo ein wenig mehr Wesen wichtig wäre. 

Trotzdem spannend und mitreißend

Diese erzählerischen Schwächen lassen sich nicht leugnen, auch ein paar mehr Zusammenhänge der Welt hätten der Erzählung an mancher Stelle gut getan. Das, was die Autorin aber beschreibt, ist interessant, unterscheidet sich von vielen anderen Büchern dieses Genres und wirft immer wieder durchaus spannende Fragen auf, die über die eigentliche Geschichte hinausgehen. 

Vor allem aber, und das ist die große Stärke des Romans, sind diese vorhergesagten letzten sieben Tage der Menschheit, ist die Reise der Jugendlichen durch eine ihnen gegenüber feindliche Welt rasant erzählt. Es gibt Verfolgungsjagden über Dächer, bei denen auch durchaus mal ein Jugendliche in die Tiefe stürzen darf, es gibt geheime Verstecke im Untergrund, während die Apostel sich unaufhörlich nähern und es gibt schließlich einen Weg ins innere Zentrum der Macht, das etliche Enthüllungen parat hält. 

Insgesamt bleibt auf jeden Fall ein spannendes und mitreißendes Abenteuer, das sich für all diejenigen zu lesen lohnt, die bereit sind, die eine oder andere Lücke mit der eigenen Fantasie zu füllen. 


 

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