Kultur / Rezensionen

21.05.2022

Prüfung bestanden


Hörspielserie, bei der jede Folge eine andere Perspektive der Geschichte erzählt

von Christian Dolle

Nach einer Firmenfeier erwacht Scott gefesselt in einer alten Lagerhalle. Von einem Unbekannten erfährt er, dass seine Frau und die Kinder entführt sind und er mehrere Prüfungen bestehen muss, wenn er sie lebend wiedersehen will. Als er zuhause die übel zugerichtete Leiche der Babysitterin findet, ist ihm klar, dass der Psychopath es ernst meint. Und auch die ersten Prüfungen zeigen, in welche Hölle er geraten ist, denn er soll sich selbst brandmarken und schon wenig später eine Prostituierte foltern. Soll er sich auf all das einlassen, um seine Familie zu retten?

Der erste Teil „Vaterliebe“ der Hörspiel-Reihe „Die Prüfung“ kommt als knallharter Thriller daher. Vieles könnte auch aus der Feder von Andreas Gruber, Sebastian Fitzek oder Arno Strobel stammen, wobei das Hören mancher unter die Haut gehender Szenen vielleicht sogar noch herausfordernder ist als das Lesen. 
Auf jeden Fall macht diese Produktion von Kim Jens Witzenleiter alles richtig, kratzt immer wieder an der Grenze zwischen Thriller und Horror und hält Scotts Geschichte spannend, nicht zuletzt, da sich Hörer unweigerlich fragen müssen: Wie hättest du in dieser Situation reagiert? 

Das Besondere an dieser Serie

Die Sprecher, die Sounds, die Musik, alles ist stimmig und gut eingesetzt, die Story hat keinerlei Längen. Soweit ist die erste Folge also ein absolut solide geschriebener und produzierter Horrorthriller zum Hören. Aber eben auch nichts, was das Rad neu erfindet, denn Thrillerleser der oben genannten Autoren kennen solche Szenen natürlich. 

Der zweite Teil „Journalismus“ erzählt die Geschichte von Lokalreporterin Stephanie, die zu gerne die Mordserie des sogenannten „Secret Killers“ aufklären möchte, der Familien entführt und die Väter vor schier unlösbare Aufgaben stellt. Dabei gerät Scott in ihr Visier und sie bleibt an ihm dran, auf eigene Verantwortung und auf eigene Gefahr. 

Ganz richtig, diese Folge erzählt im Grunde die gleiche Geschichte, nur eben aus einer völlig anderen Perspektive. Dabei wiederholen sich einige Szenen, doch natürlich nimmt Stephanie als Beobachterin ganz andere Dinge wahr als Scott, so dass dem Hörer sozusagen verschiedene Kameraperspektiven auf die Geschehnisse geboten werden, die damit immer wieder neue Details preisgeben. 

Die dritte Folge „Justiz“ erzählt dann alles aus der Sicht des ehemaligen Polizisten Viktor, der ebenfalls ermittelt, aber eben nicht mehr offiziell, weil er nämlich vermutet, dass der Killer an Polizeiinformationen kommt und den Ermittlern daher bisher immer einen Schritt voraus war. Auch hier ergeben sich noch einmal ganz neue Aspekte, die Geschichte erscheint wieder in einem etwas anderen Licht, immer mehr Puzzleteile fügen sich zusammen. 

Ein Experiment, das krachend scheitern kann

Aufgelöst wird alles in Teil vier, der mit „Finale“ betitelt ist und über den hier natürlich nichts verraten werden soll. Aber es wird ja auch so klar, wo das Besondere dieser Hörspielreihe liegt. Eine Geschichte aus mehreren Blickwinkeln betrachtet, das ist ein interessantes Konzept, das mich fesselt, dass aber ehrlicherweise von vornherein auch einige Schwierigkeiten birgt. 

So ist klar, dass die im ersten Teil sich in ihrer Grausamkeit steigernden Prüfungen für Scott in den folgenden Parts nicht noch getoppt werden, da sich ja alles wiederholt. Also gilt es, die Spannung trotz der Wiederholungen hochzuhalten und immer genug Neues einzustreuen, ohne aber dem Finale vorzugreifen. Aus Autorensicht kein ganz leichtes Unterfangen, auf jeden Fall ein Experiment, das auch krachend scheitern kann. 

Dass es in diesem Fall gelingt, liegt auf jeden Fall an einem intelligenten Skript, das sehr gut dosiert neue Puzzleteile bereithält und dabei die Spannung hochhält. Außerdem sind es aber auch Markus Pfeiffer (die deutsche Stimme von Geralt von Riva aus den Witcher-Spielen) als Scott, Stephanie Preis als Stephanie und Christopher Kussin als Viktor, die ihre Rollen überzeugend spielen und die Charaktere plastisch erscheinen lassen – was ja wirklich nicht leicht ist, wenn Figuren all ihre Gedankengänge laut aussprechen, ohne dass es seltsam wirkt und zu Lasten der Glaubwürdigkeit geht. Besonders mit Scott fühle ich als Hörer natürlich mit, stelle mir wie angedeutet immer wieder die Frage, wie ich selbst in der Situation gehandelt hätte. Aber auch die anderen Haupt- und auch die Nebenrollen machen ihre Sache wirklich gut. 

Alles in allem ist es das außergewöhnliche Erzählkonzept, das neugierig auf diese Serie macht, und es ist die  harte, aber nie in Splatter und Gore abgleitende Umsetzung, die begeistert. Püfung bestanden, muss es da wohl heißen.

 

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