Kultur / Rezensionen

09.04.2022

Wenn dir alles genommen wird


„Damokleszeit – Gelbpest“, spannende Dystopie von Pelle Gernot

von Christian Dolle

Tag für Tag durchstreift Zeron die Ruinen einer vergangenen Zivilisation nach allem, was er zum Überleben braucht, und allem, was in seiner trostlosen Welt noch etwas wert sein kann. Was er findet, kann er bei den Soldaten der einzigen noch halbwegs intakten Stadt eintauschen. Gegen jene Tabletten, die Zeron und alle anderen Überlebenden benötigen, um nicht von der Strahlungskrankheit dahingerafft zu werden.

Es ist ein typisches postapokalyptisches Szenario, das Autor Pelle Gernot in „Damokleszeit“ entwirft. Eine menschenfeindliche Welt, mehrere rivalisierende und um die wenigen Ressourcen kämpfende Gruppen, und ein Protagonist, der definitiv zu den Verlierern der mühsam aufrechterhaltenden Ordnung gehört. 
Pelle Gernot ist in Leipzig geboren, wuchs auf dem Land auf, bevor seine Heimat dem Braunkohlebergbau weichen und er in seine Geburtsstadt umziehen musste, wie er sagt. Schon früh fing er an zu schreiben, vor allem historische Stoffe, zuletzt schließlich einen Roman, der sich um archäologische Geheimnisse im antiken Rom dreht. Mit „Damokleszeit“ blickt er nun nicht mehr in die Vergangenheit, sondern in eine düstere Zukunft und hat sich offenbar viel vorgenommen, denn „Gelbpest“ - so der Untertitel seines dystopischen Thrillers – ist nur der erste Band seines Ruinenstadtzyklus. 

Eine Welt des Mangels

Als Leser begleiten wir Zeron auf seinen Beutezügen, die von Beginn an sehr filmisch oder vielmehr noch an Videospiele dieses Genres erinnernd aus seiner Perspektive geschildert werden, ohne allzu viel zu erklären. Erst nach und nach orientieren wir uns in Zerons Welt, erfahren bruchstückhaft immer mehr über die Ruinenstadt, den Moloch, wie die Stadt genannt wird, die sogenannte freie Zone sowie über Jäger und Sammler und die Banden die in ihren jeweiligen Gebieten hausen. 

Es ist eine Welt des Mangels, unter den Überlebenden strikt aufgeteilt, doch es lässt sich erahnen, dass diese Aufteilung fragiler wird, je knapper die Beute und die Rohstoffe werden. Zu allem Übel ist in der Ruinenstadt die sogenannte Gelbpest ausgebrochen, an der unter anderem auch Zerons Partnerin Jelanda elendig verstirbt. Diese unheilbare Krankheit versetzt die Menschen in Panik, es kommt immer wieder zu Übergriffen und Plünderungen, auch Zeron verliert schließlich all seine Vorräte und Waffen, steht bald schon vor dem Nichts. 

Vor allem aber macht er eine Entdeckung, die ihm keine Ruhe lässt. Denn die Tabletten, die Jelanda von den Soldaten des Molochs bekommen hat, sehen anders aus als seine. Und auch die Tabletten aller anderen, die an der Gelbpest versterben, sind von dieser neuen Sorte. Allmählich keimt ein schrecklicher Verdacht in Zeron auf und da er ohnehin nichts mehr zu verlieren hat, beschließt er, seiner Vermutung auf den Grund zu gehen. 

Spannend und unvorhersehbar

Es ist spannend, wie die dystopische Welt nach und nach immer mehr ausgestaltet wird, jede neue Erkenntnis macht neugierig auf weitere. Vor allem gibt es keine Längen, die Handlung wird immer zügig vorangetrieben und bleibt dabei aber relativ unvorhersehbar. Daher wirkt der Roman tatsächlich ein wenig wie ein Videospiel, in dem es immer neue Areale zu erkunden und storyrelevante Zusammenhänge aufzudecken gilt. 

Vor allem aber ist mit Zeron eine Figur gelungen, die mitleiden lässt, weil er nach und nach alles verliert, was ihm in seinem Leben Halt gibt, ja, was sein Überleben sichert. Er wird nicht zum überlebensgroßen Helden, sondern vor allem zum Opfer dieser dem Tode geweihten Welt, doch gerade die Aussichtslosigkeit lässt ihn weitermachen und ermöglicht es ihm, unbekannte und unsicherere Wege zu gehen. 

Es geht weiter

Nun ist „Gelbpest“ wie gesagt der erste Band von „Damokleszeit“, das heißt – Achtung: Spoiler – es gibt in diesem Buch kein wirkliches Ende, sondern lediglich Hinweise auf den Fortgang der Geschichte. Das ist nicht jedermanns Sache, ehrlich gesagt normalerweise auch nicht meine, das ich lieber etwas Abgeschlossenes habe. In diesem Fall ist es aber so, dass bei mir am Ende vor allem das Gefühl blieb, diese Welt noch längst nicht ausreichend erkundet zu haben, noch dazu nimmt die Geschichte jetzt erst so richtig Fahrt auf, so dass ich in diesem Fall froh bin, dass es mit „Feindesland“ eine Fortsetzung geben wird. Und die zum Glück auch noch in diesem Jahr, so kündigt der Autor es jedenfalls an. 


 

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