Kultur / Rezensionen

31.03.2022

Mückenstiche auf nicht weißer Haut


Leseempfehlung: Sarah Vecera – Wie ist Jesus weiß geworden?

...KKHL  Christian Dolle

„Wie ist Jesus weiß geworden?“ Allein diese Frage lässt vermutlich manche konservativen Christen unmerklich zusammenzucken. Es ist der Titel des Buches von Sarah Vecera, der Untertitel lautet: „Mein Traum von einer Kirche ohne Rassismus“. Spätestens jetzt gehe auch ich in eine leichte Abwehrhaltung, denn gerade meine Kirche ist es doch, die Rassismus laut und deutlich ablehnt und sich dafür ausspricht, dass vor Gott alle Menschen gleich sind. 

Genau, vor Gott sind alle Menschen gleich. Diesen Satz zitiert auch Sarah Vecera als Beispiel, geäußert von einem kirchlichen Mitarbeiter während einer Jugendfreizeit, der dabei den einzigen schwarzen Jungen ansieht und anlächelt, um ihm so klar zu machen, dass somit auch er eingeschlossen ist. Der Satz ist nett gemeint, soll ausdrücken, dass dieser Junge wie alle anderen dazugehört. Dem Kind jedoch wird dadurch bewusst, dass es wohl diese Betonung braucht, damit klar ist, dass auch er dazugehört.

Es sind mehrere solcher vermeintlich kleinen Aussagen oder Handlungen, die die Autorin immer wieder anführt, viele Begebenheiten, denen ich als weißer wohlmeinender Christ im Alltag keine Bedeutung beigemessen hätte. Sarah Vecera schon, zum einen, weil es nun einmal das hema ihres Buches ist, zum anderen, weil sie genau damit aufwuchs. 

Wer ist die Autorin eigentlich? Nun, sie ist 38, verheiratet, Mutter zweier Kinder und stammt aus dem Ruhrgebiet, erzählt sie in einem Kapitel. Ja okay, doch woher stammt sie wirklich? Aus Oberhausen. Dort wuchs sie bei ihren Großeltern auf, die in der Kirche engagiert waren, so dass sie heute als Prädikantin tätig ist. Doch bis heute muss sie immer wieder erläutern, dass ihr Vater, zu dem sie nie Kontakt hatte, aus Pakistan kommt. Zeit ihres Lebens wurde ihre Hautfarbe also immer wieder als das eine und sie charakterisierende Merkmal behandelt. 

In ihrem Buch berichtet sie von diesen Erfahrungen, die im Fachjargon als Mikroaggressionen, von ihr als „Mückenstiche“ bezeichnet werden, zudem erläutert sie Begriffe wie People of Color oder wie die Herkunft sich in unserer Gesellschaft statistisch eindeutig auf den schulischen Erfolg auswirkt. Es ist also eine Mischung aus persönlichem Lebenszeugnis und sachlichen Fakten, mit der sie deutlich machen will, dass Alltagsrassismus bei uns heute und eben auch in der Kirche allgegenwärtig ist. 

Das ist zugegeben nicht immer einfach. Manchmal ist schlicht nicht ganz klar, wo der eigentlich Fokus des Buches liegt. Manches klingt anklagend, anderes belehrend, was bei einem solch sensiblen Thema alles andere als leicht verdaulich ist. Doch was Sarah Vecera zu sagen hat, ist nun einmal ungemein wichtig. 

Zum einen erläutert sie historisch, dass Jesus nun einmal selbst Person of Color war, was durch eine europäische Dominanz in der christlichen Kirche aber häufig ausgeblendet wird. Neben den eher historischen Aspekten geht sie zum anderen auf einen positiven Rassismus ein (den sie so aber nicht bezeichnen will, weil Rassismus nun einmal nicht positiv sein kann), der uns als Weiße oftmals überhaupt nicht auffällt. 

Da ist die ausschließlich nett gemeine Aussage „Du musst aber auch noch auf das Foto für den Gemeindebrief, damit ein bisschen mehr Farbe reinkommt“, anhand derer die Autorin klar macht, dass auch die Deutungshoheit darüber, was rassistisch ist, viel zu oft bei weißen Menschen liegt. Und da ist das von Kirche oft vermittelte Bild, dass Menschen anderer Hautfarbe grundsätzlich hilfsbedürftig seien. „Natürlich haben wir Verantwortung zu tragen“, schreibt Sarah Vecera dazu, „unser Luxus besteht schließlich auf Kosten des globalen Südens, aber die Frage sollte sein, wie wir Verantwortung übernehmen können, ohne koloniales Denken fortzuführen.“ 

Ihr Buch ist letztlich kein Angriff auf die Kirche, keine Abrechnung und auch keinesfalls die Unterstellung, alle weißen Christen seien Rassisten. Es geht um das Bewusstmachen von lauter kleinen Mückenstichen, die andere verletzen und letztlich von der Kirche fernhalten können. Dabei sollte die Kirche doch einen ganz anderen Weg gehen, sagt sie. „Auch angesichts ihrer sinkenden Mitgliederzahlen sollte die Kirche sich für mehr Diversität in den eigenen Reihen einsetzen. In der Kirche hören wir als Menschen of Color auch nicht selten, dass dass viel mehr Vielfalt gebraucht werde. Diese Vielfalt muss allerdings auch geschützt werden.“ 

 

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