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26.02.2022

Op Platt: Die Sage vom Unterdorf


Blick in das Unterdorf um 1900

Der 87-jährige Helmut Römermann aus Badenhausen erinnert sich daran, wie es früher in Badenhausen aussah

...von Herma Niemann

Eine Sitzbank und Bäume rechts und links vor der Eingangstür, ein großer Holzstapel vor dem Haus und freilaufende Hühner. So sahen früher die Straßen auf dem Dorf aus. Helmut Römermann (Malermeister in Rente) aus Badenhausen, erinnert sich noch sehr gut daran, wie es mal im Unterdorf aussah.

„Es sah einfach romantischer aus“, schwärmt der fast 88-Jährige mit ein wenig Wehmut in einem Gespräch mit unserer Zeitung. Was das Unterdorf von früher romantischer machte? Das war zum einen der Verlauf des Sülpke-Baches, der sich unbegradigt in Kurven durch den Ort schlängelte und auch heute noch zwischen zwei von den insgesamt drei Straßen, die zum Unterdorf gehören, fließt. Die Böschungen waren niedrig und es gab eine Furt. Über diese Flachstelle konnten unter anderem die Pferdefuhrwerke hindurch fahren. In den 1950er Jahren ungefähr wurde das Bachbett begradigt.

Mit „Romantik“ meint Römermann im Übrigen das Erscheinungsbild und das Miteinander der Nachbarn. Denn die Zeiten waren hart, es wurde körperlich hart gearbeitet, Holz und Wasser mussten jeden Tag mehrfach geschleppt werden und ganz früher gab es noch Plumpsklos und Misten vor oder neben dem Haus. In den Häusern, in denen heute vielleicht nur drei oder vier Personen wohnen, lebten früher mehrere Familien unter einem Dach und mussten auch miteinander auskommen. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts sei das Unterdorf auch noch ein sehr lebendiger Ort gewesen, so Römermann. Es gab unter anderem den Schmied Zander, die Kaufleute Heisecke und Hartung, eine Gerberei und den Friseur Fricke. Dieser Friseur Wilhelm Fricke habe im Übrigen auch regelmäßig für die damalige Lokalzeitung kleine Geschichten auf Platt unter dem Titel „en beten vertellen“, also „ein bisschen erzählen“ veröffentlicht, wie Römermann erzählt. Das fehle in der heutigen Zeit doch schon sehr.

Zum Ortsbild gehörten im Unterdorf auch die Bauern Winkelbrandt, Hubensack und Wressig. Im Unterdorf wohnte auch August Schütte, der Gemeindediener war. Mit einer großen Handglocke marschierte er durch das Unterdorf, verkündete die neuesten Nachrichten der Gemeinde und hing diese in den Anschlagkästen aus. Römermann erinnert sich, dass er deswegen auch einen besonderen Spitznamen hatte. „Er war ein echtes Original“, so Römermann. Heute gibt es von den vielen Geschäften nur noch den Markt von Friedhelm Vollerthum im Unterdorf, der auf eine lange Tradition blicken kann. Bereits 1939 eröffnete Vollerthums Großmutter, Auguste Schäfer, einen Milchhandel in dem Haus gegenüber des heutigen Gebäudes. Sie ist mit einem Handwagen mit vollen Milchkannen umher gezogen und hat Milch und später auch Quark im halben Dorf verkauft.

Später gab es in dem kleineren Teil des heutigen Geschäftes Waren mit Bedienung. Die Inhaberin Käthe Vollerthum, geborene Schäfer, baute schließlich den großen Verkaufsraum an und verkaufte ab 1966 in Selbstbedienung. Die Molkerei befand sich damals an Stelle des heutigen Raiffeisenmarktes. Als die Zentralmolkerei in Osterode fertig war, habe Fritz Hubensack die Milch der Bauern mit dem Pferdewagen nach Osterode gebracht .

Vor dem Haus von Römermanns, das früher seinen Großeltern (Erich und Doretta Rose) und dann seinen Eltern (Elisabeth und Otto Römermann) gehörte, hätten bis in die 1950er Jahre ungefähr noch drei dicke und große Birnbäume gestanden: eine Försterbirne, eine Wasserbirne und eine Sonnenbirne. Die Sonnenbirne wurde früher übrigens gerne für ein damals sehr beliebtes Gericht, nämlich „Himmel und Äd“ (Himmel und Erde) verwendet. Grund für den Namen sind die Hauptzutaten: Kartoffeln, die in der Erde wachsen, und Birnen (oder Äpfel), die mit etwas Fantasie aus dem Himmel gepflückt werden. Manchmal gab es auch Birnen, Bohnen und Speck, das seien eben damals alles günstige Mittagessen gewesen. Da die Birnbäume auf Gemeindeeigentum standen, wurden diese im Zuge der Straßenbegradigung irgendwann entfernt.

Vor dem Römermannschen Haus, der mittleren Unterdorf-Straße, war früher auch noch ein Brunnen gewesen, der ebenso im Zuge der Baumaßnahmen dicht gemacht wurde. Es existieren aber noch alte Fotos aus der Zeit, auf denen ein damals junges Mädchen, Magdalene Zwickert, ihre Schuhe an dem Brunnen putzt. Im Hintergrund ist das alte Feuerwehrhaus zu sehen. Der hohe Turm der damaligen Feuerwehrhäuser wurde zum Trocknen der Schläuche verwendet, erzählt Römermann. Eine Sirene habe es damals noch nicht gegeben, stattdessen ist ein Feuerwehrmann mit Horn auf dem Fahrrad durchs Dorf gefahren. Dort, wo heute der Raiffeisenmarkt steht, war früher der Anger, also der Dorfplatz. Dort befand sich auch die Schmiede von Adolf Zander und seinem Sohn Bruno. Heute heißt die Straße „Am Breitenanger“. Adolf Zander habe immer gerne mit anderen geplaudert, weswegen er jede Frau, egal ob jung oder alt, die an der Schmiede vorbeiging, ansprach mit „Tach, junge Frau“.

An der Stelle, wo heute das Feuerwehrgerätehaus stehe, war früher der Kohlenhändler Heinrich Wich. An der sogenannten „Eulenspiegel“-Brücke endete das Unterdorf. Eng verbunden mit dem Unterdorf ist auch die Lehmkuhle. Generationen von Kindern haben dort gespielt und im Winter gerodelt, wo früher der Lehm für die Fachwerkhäuser gewonnen wurde. Für Kinder war es das Paradies auf Erden, wobei dies nicht alle Eltern genauso gesehen haben. Denn des öfteren gab es Ärger, wenn die Kinder vollkommen verdreckt nach Hause kamen, weil sie im Lehm gespielt und gerutscht hatten oder weil mal ein Gummistiefel vermisst wurde, weil er im Lehm stecken blieb. Seit einigen Jahrzehnten befindet sich dort der Spielplatz. Einen passenderen Ort hätte es dafür wohl nicht geben können.

Im Übrigen, sagt Römermann, habe seine Mutter Elisabeth auch in ihrem hohen Alter mit 89 Jahren nicht nur zahlreiche Begebenheiten von früher im Gedächtnis, sondern konnte auch noch viele Gedichte, die sie gelernt hatte, ohne Probleme aufsagen. Und seine Mutter habe sich auch noch an die sogenannte „Sage aus dem Unterdorf“ erinnern können, die sich früher erzählt wurde. Zusammen mit ihrem Sohn schrieb sie diese auf. Die „Sage“ war auf Platt, jede Zeile übersetzte Helmut Römermann. Darin erscheinen viele frühere Einwohner des Unterdorfes mit ihren ganz eigenen Besonderheiten und Charaktereigenschaften. So heißt es zum Beispiel „Fellbinger iss en Prillekenbäcker“, „Schmidt datt iss en gauen Schneier“ und „Schönbach mit den grüten Haut“. Die Erzählung hängt auch in der Heimatstube in Badenhausen.


Früher wurde auf der Straße gespielt, mit einem Bollerwagen zwischen großen Holzhaufen und freilaufenden Hühnern

Die junge Magdalene Zwickert am Brunnen im Unterdorf, im Hintergrund ist das alte Feuerwehrhaus

Drei große Birnbäume standen früher vor dem Haus im Unterdorf. Mit Birnen und Kartoffeln wurde gerne Himmel und Äd gekocht

Die Sage vom Unterdorf auf Platt mit deutscher Übersetzung...

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