Kultur / Rezensionen

24.01.2022

Wo ist der Baum der Erkenntnis, wenn man ihn mal braucht?


Oliver Brunotte schreibt mit „Das neue Paradies auf Erden“ eine Dystopie, die keine ist

von Christian Dolle

Es gibt die Theorie, unsere Realität sei nur eine Simulation, in etwa so, wie es Platon in seinem Höhlengleichnis oder der Film Matrix beschreibt. Ist ein Gott in dieser Vorstellung dann der Programmierer? Letztlich lässt sich das weder durch Wissenschaft, noch durch Glauben bis ins Letzte entschlüsseln.

Wahrscheinlich ist das der Grund, warum sich zu jeder Zeit und bis heute so viele Philosophen, Naturwissenschaftler, Autoren und andere Menschen unterschiedlichste Gedanken über den Ursprung der Welt, über ihren Zweck und über den Sinn unseres Lebens machten.

„Das neue Paradies auf Erden“ von dem in Wulften lebenden Oliver Brunotte ist ein Roman, der diese Fragen auch aufgreift oder zumindest streift. Allerdings doch etwas anders als andere es tun. Oliver Brunotte schreibt über zwei Jungen, Michael und Tim, die in einer scheinbar perfekten Welt leben, dem neuen Paradies auf Erden eben. Gott sorgt für die Menschen, gibt ihnen alles, was sie zum Leben brauchen und steht ihnen auch persönlich für alle wichtigen Fragen zur Verfügung. 

Die Schöpfung im letzten Moment gerettet

Nachdem wir Menschen die Welt nämlich durch Profitgier, Klimawandel und Ausbeutung beinahe zerstört haben, kehrte er zurück, um seine Schöpfung im allerletzten Moment zu retten und die Menschen auf den richtigen Weg zu führen. Dank realistischer Simulationen lernen Michael und Tim in der Schule viel über die Welt, über die Wissenschaften, über die Religion und vor allem über die Geschichte der Menschheit. Außerdem greift Gott oder greifen seine Engel ein, bevor Tim beispielsweise vom Baum fällt und sich ernsthaft verletzt. Alles scheint wahrhaft paradiesisch.

Dennoch fragen sich die beiden Jungen, warum Gott immer erst im allerletzten Augenblick auftaucht und auch, warum er der Menschheit nicht schon viel früher deutlich zu verstehen gab, dass sie die Schöpfung mit ihrer Auslegung vom „sich untertan machen“ auf jeden Fall zerstören. Im Laufe des Buches müssen sie erkennen, dass Gott gar nicht so göttlich und ihr Paradies vielleicht auch nicht so paradiesisch ist, wie es scheint. 

Zu viel soll hier über die Handlung des Romans nicht verraten werden, denn das würde die Freude am Lesen und am Hinterfragen schmälern. Auf jeden Fall greift Oliver Brunotte auf der einen Seite jene uralten philosophischen Fragen auf, verpackt sie auf der anderen Seite aber in ein geradezu postapokalyptisches Paradies, das ganz deutlich aus den dringenden Problemen unserer Zeit resultiert. 
Genau das macht auch den Reiz des Romans aus, weil es immer scheint als ist das, was er als zukünftige Welt schildert die direkte und logische Konsequenz aus unserem jetzigen realen Handeln. Die Zukunft, die Oliver Brunotte zeichnet, ist der großen Katastrophe dank Gottes Rückkehr auf die Erde noch einmal knapp entkommen. Dieser Aspekt unterscheidet das Buch auch von anderen Dystopien. 

Keine Dystopie, nur offene Fragen

Es ist nicht die durchweg schlechte Welt, kein böser Herrscher, kein Tanz auf Messers Schneide oder die Versklavung der letzten Menschen. Es ist oberflächlich betrachtet tatsächlich ein neues Paradies auf Erden, in dem es keinen Mangel, kein Leid, keine Furcht gibt. Nur eben einige offene Fragen, deren Antworten viel diffuser und differenzierter gegeben werden als in anderen Werken des Genres. Tim und Michael müssen sozusagen wirklich erst vom Baum der Erkenntnis essen, bevor sie richtig greifen können, was sie an ihrem Paradies eigentlich stört. Doch wo ist der blöde Baum, wenn man ihn mal braucht?

Zum Glück steht in diesem Roman die spannende Geschichte im Vordergrund, nicht in erster Linie seine Botschaft. Natürlich ist die auch wichtig, gerade bei einem solchen Buch, doch ehrlich gesagt gibt es auch zahlreiche Werke, die allein fürs Ego des Autors oder der Autorin geschrieben sind und nicht für die Leser. Hier entsteht jedoch  nicht das Gefühl, einem Autor zuzuhören, der mahnen will, wie schlecht wir mit unserer Erde umgehen, sondern er schickt seine Leser mit den beiden Jungen in ihrer Welt auf Entdeckungstour. 

Erstlingswerk, das fortgesetzt wird

Diese Tour zu den Ungereimtheiten, dieser Schritt, das Hinterfragen und den Wissensdurst über die Bequemlichkeit und Sorglosigkeit zu stellen ist spannend, eindringlich und nachvollziehbar beschrieben. Noch dazu werden Erklärungen und Spekulationen immer wieder durch die Leidenschaft der beiden jugendlichen Protagonisten für für sie alte Filme aufgebrochen. Star Wars, Star Trek, die Ghostbusters oder auch Alf werden immer wieder mal zitiert, brechen die Ernsthaftigkeit auf und sorgen ganz nebenbei für eine zusätzliche Verbindung jener Zukünftigen Welt mit unserer. 

„Das neue Paradies auf Erden“ ist Oliver Brunottes Erstlingswerk, er hat es selbst veröffentlicht, im normalen Leben ist er eigentlich Lehrer. In einem früheren Gespräch mit dem Eseltreiber verriet er auch bereits, dass dieses Buch Teil einer Trilogie sein wird, am Nachfolgeband arbeitet er bereits. Doch natürlich möchte er über den Inhalt noch nichts verraten, wir bleiben aber dran und werden auf jeden Fall auch über sein zweites Buch berichten. 

Diese Rezension gibt es auch auf Youtube:  

 

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