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14.10.2021

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) sorgt sich um Nordsyrien


Göttinger Nahostexperte Dr. Kamal Sido: "Die Invasion vor 2 Jahren hat Fakten geschaffen".

von Ralf Gießler

Göttingen) In der zweiten Oktoberwoche ist die türkische Invasion in Nordsyrien bereits zwei Jahre her. Ein Ereignis, welches nach Meinung der Göttinger Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) leider in der öffentlichen Wahrnehmung zu wenig Beachtung findet. Dr. Kamal Sido, Nahostexperte der GfbV, zeichnete am Jahrestag der Invasion ein düsteres Bild: "Zwei Jahre nach der Invasion sind über eintausend nichtmuslimische Familien vertrieben, weitere Angriffe und Vertreibungen sind zu befürchten."

Nahezu alle Angehörigen ethnischer und religiöser Minderheiten hätten die nordsyrische Stadt Serekaniye sowie die umliegenden Dörfer verlassen. Die Türkei habe dieses Ziel zwei Jahre nach ihrem Angriff auf die Region am 9. Oktober 2019 inzwischen erreicht. Sämtliche yezidischen und christlich-orthodoxen Familien mussten vor der Gewalt der türkischen Armee und ihrer islamistischen Verbündeten fliehen, Frauen ohne Kopftuch seien im öffentlichen Leben nicht mehr sichtbar. "Der türkische Präsident Erdogan hat in Nordsyrien Fakten geschaffen, die mit jedem weiteren Tag der Besatzung schwerer umzukehren sind“, erklärte Dr. Sido.

"Die ethnische und religiöse Vielfalt der Region ist bis auf Weiteres zerstört. Es ist fraglich, ob sie jemals zurückkehren wird.“ Weil die Türkei für ihre "Operation Friedensquelle“ fast keinen internationalen Gegenwind gespürt habe, fühle sie sich nach Meinung der GfbV in ihrem Gebaren bestärkt. Erdogan habe gelernt, dass er sich international alles erlauben könne. Die Hoffnung, dass der neue US-Präsident Biden den Nato-Verbündeten zur Ordnung rufen wird, habe sich nicht erfüllt: "Die neue Führung in Washington hat andere außenpolitische Prioritäten. Auch aus Europa muss keine Kritik befürchtet werden, solange die EU mit syrischen Geflüchteten erpresst werden kann. 

Während hunderttausende kurdische, arabische, assyrisch/aramäische, armenische, christliche und yezidische Vertriebene immer noch in Zelten in der Provinz Al Hasakeh im Nordosten Syriens leben oder das Land in Richtung Europe bereits verlassen haben, festigt die Türkei ihre Position in den besetzten Gebieten, indem sie dort radikale sunnitische Muslime ansiedelt. Nun nehme die Türkei den Rest der Provinz Al Hasakeh in den Blick, sie möchte auch diesen letzten multiethnischen und multireligiösen Teil Syriens erobern und wieder hunderttausende Menschen vertreiben“, so Dr. Sido weiter.

Trinkwasser würde bereits als Waffe eingesetzt, indem es gezielt zurückgehalten werde. Daher müssten dort über 200.000 Menschen ohne sauberes Trinkwasser auskommen. Unverständnis äußerte der Göttinger Nahostexperte auch mit Blick auf die Medien: "Zum Jahrestag der Angriffe auf die Region Nordsyrien am 09. Oktober gab es kaum Reaktionen in der deutschen Presse. Ich kann nicht sagen, woran das liegt oder welche Gründe es dafür gibt, warum unsere Medien auf dieses Ereignis vor zwei Jahren nicht mehr aufmerksam machen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat daher eine Erklärung abgegeben und konkrete Fakten genannt. Wir befürchten, dass die Türkei das genannte syrische Gebiet nicht mehr verlassen wird."

 

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