Kultur

06.10.2021

„Ich bin infiziert!“


Interview mit dem Horror-Autor M. H. Steinmetz

von Christian Dolle

Stell dir vor, du bist allein in einer Welt, die von Zombies heimgesucht wurde. Der größte Teil der Menschheit ist bereits ausgerottet, jetzt sind auch noch deine Freunde verschwunden und du musst einen Weg in die trügerische Sicherheit einer ehemaligen Nervenheilanstalt finden. Dies ist die Ausgangssituation in „Death Asylum“ von M. H. Steinmetz, unserem Buchtipp vom vergangenen Sonntag.

Das Besondere dieses Horrorromans: Der Autor überlässt seinen Lesern die Entscheidungen, schickt sie auf eine interaktive Reise durch die schaurige Welt, für jeden und jede kann das Buch ein anderes Ende nehmen. Solche Spielbücher führen zwar ein Nischendasein, besonders seit Computerspiele längst nicht mehr als Textadventures funktionieren, doch gerade in Zeiten der Escape-Games etc. sind sie bei einigen wieder durchaus angesagt.
Der Eseltreiber hat daher M. H. Steinmetz um ein Interview gebeten.

Auf deiner Website hab ich gesehen, dass ich mit deinen veröffentlichten Büchern eine halbe Bibliothek füllen könnte. Wie lange schreibst du schon und was hat dich dazu bewogen?

Mein Debüt hatte ich mit „Totes Land – Ausnahmezustand“. Das war 2013. Geboren wurde die Geschichte allerdings drei Jahre zuvor. Als Basis diente meine damalige Kult Paper&Pen-Runde, die eine recht dystopische Zombieapokalypse in Deutschland zur Grundlage hatte. Ich musste auf eine längere Geschäftsreise und hatte die Idee, Teile des Abenteuers aufzuschreiben und zu ergänzen. Das war sozusagen der Startschuss, aus dem neben „Totes Land – Die Zuflucht“ und „Totes Land – Der Bunker“ viele weitere Bücher folgten. Es floss dann einfach so aus mir heraus, wollte zu Papier gebracht werden.


Du schreibst vor allem Horror, wie kommt es eigentlich, dass das Genre in Deutschland so ein Schattendasein führt?

Horror ist nun mal kein Mainstream, wie z.B. die vielen Schwedenkrimis und Regionalromane, in denen Ermittler XY den immer gleichen Fall lösen muss. [An dieser Stelle sei angemerkt, dass M.H. Steinmetz nicht weiß, dass sein Interviewer Mitorganisator des Mordsharz-Krimifestivals ist und er sich mit einer solchen Aussage auf ganz dünnes Eis begibt ;-)] Horror geht ans Eingemachte, an die Substanz, weckt innere wie äußere Ängste und holt die Leserschaft auf verschiedenste Weise aus der Komfortzone. Die Publikumsverlage verschließen sich dem weitgehend. Die Basis der deutschen Horrorszene bilden daher Kleinverlage, die sich unserer Geschichten mit viel Liebe und Herzblut annehmen. Ich empfehle deswegen auch immer eine Besuch auf der BuCon in Dreieiech oder der LuxCon in Luxemburg (nur um zwei der vielen Veranstaltungen zu nennen), um sich ein Bild zu machen. Zwischenzeitlich kann man aber durchaus sagen, das es eine stabile und stetig wachsende Fanbase gibt und sich die Schreibenden hierzulande nicht vor den Amis verstecken müssen. 


Wie du sagst, bist du auch ein Fan von Rollenspielen. Sind die die Brücke, über die man zum interaktiven Roman gelangt?

Fan ja, die Brücke allerdings eher jein. Ich spiele seit 1985 Paper&Pen. Gestartet wie viele mit D&D [Dungeons & Dragons], dann Stormbringer, Kult und Cyberpunk, aber auch viele eher unbekannte System wie Inomine Satanis zum Beispiel. Wir haben oft lang und exzessiv gespielt, manchmal sogar übers gesamte Wochenende. Aktuell leite ich eine Cyberpunk-Runde, mehr Zeit bleibt leider nicht. 
Als ich mein erstes Spielbuch begann, stellte ich schnell fest, dass es weit mehr Aufwand als bei einem „normalen“ Roman ist. Da müssen akribisch Listen und Tabellen geführt werden. Flowcharts zeigen die Wege auf, Rätsel müssen generiert werden. Letztendlich ist es ein Soloabenteuer wie man sie aus dem alten D&D kennt, nur eben um ein vielfaches komplexer. Ich wollte das Projekt gefühlt tausend Mal hinschmeißen und nie wieder auch nur über ein Spielbuch nachdenken. Letztendlich hat mich meine strukturierte Arbeitsweise als Programmierer – die der eines Spielbuchs nicht unähnlich ist – wieder auf Linie gebracht. Dann lag es auf dem Tisch mit tollem Cover, super Layout und unglaublich dichten Illustrationen. Was soll ich sagen, aktuelle schreibe ich an einem neuen Spielbuch und hab richtig Feuer gefangen!


Genau, in einem Buch wie „Death Asylum“ gibt es nun mal mehrere mögliche Handlungsstränge. Das zu konzipieren stelle ich mir viel schwerer vor als eine klassische Geschichte.

Definitiv. Eine „normale“ Story schreibst du relativ linear. Du legst Kapitel fest und was dort passiert. Dann Feuer frei und schreiben, bis die Finger bluten.
Das Spielbuch hingegen ist komplex. Zu Beginn braucht es ein einfaches, aber effektives Regelwerk, das ohne viel Hilfsmittel auskommt. Bei Death Asylum musst du noch würfeln, bei meinem neuen Projekt hingegen nicht mehr, was ich als sehr angenehm empfinde.
In Death Asylum gibt es mehrere Wege, die der Charakter zurücklegen kann, Gegenstände werden gefunden und Gespräche geführt, die alle letztendlich zielführend sein müssen. Zu allem Überfluss kann man auch Begleiter finden, zum Beispiel einen Hund. Also müssen alle involvierten Punkte einmal mit und einmal ohne Begleitung geschrieben werden. Die einzelnen Sprungpunkte müssen knapp, prägnant und passend zu denen davor und danach sein, aber auch genügend Atmosphäre transportieren. Kämpfe und Proben müssen harmonieren, sodass der Spieler zwar scheitern kann, aber nicht verzweifeln muss. Jeder Punkt muss so angelegt sein, das er zu den verschiedenen Möglichkeiten zuvor und danach passt.
Ich erinnere mich an die Überarbeitung, als ich festgestellt habe, dass es bei einigen Stellen Zahlendreher gab. Zum Glück hatte ich genügend Tabellen und Verzweigungslisten, um die Probleme zu fixen, aber es war die Hölle. Es ist schlichtweg der Horror beim Schreiben, aber das Resultat entschädigt für alle Mühen.


Wie viele mögliche Verläufe der Story gibt es eigentlich? Kann man das überhaupt zählen?

Pro Kapitel gibt es drei Hauptlinien, die man wählen kann und die am Ende des Kapitels wieder zusammenlaufen. Allerdings kann man die Hauptlinien an bestimmten Kreuzungspunkten wechseln, was zu zig weiteren Verläufen führt. Zusätzlich – sollte man sterben – geht‘s als Zombie noch etwas weiter, was die weit über tausend Sprungpunkte im Buch erklärt. Jede Entscheidung generiert einen neuen Weg mit neuen Begegnungen und Fundstücken.


Und wie behält man da als Autor den Überblick? Schreibst du einen Strang nach dem nächsten oder an allen parallel?

Wie gesagt muss man akribisch Listen, Tabellen und Flowcharts führen, um sich nicht in den Punkten zu verlieren. Ich schreibe immer einen logischen überschaubaren Strang fertig, danach den nächsten. Die Nummern der Sprungpunkte vergebe ich immer der Reihe nach. Erst, wenn ein Kapitel fertig ist, weise ich die echten – durchgemischten – Nummern zu, sodass man im Abenteuer immer schön blättern muss. 
Inzwischen hat sich bei mir – also beim aktuellen Spielbuch – eine Routine etabliert, mit der ich ganz gut arbeiten kann. Ich muss mich nur immer daran erinnern, die Abschnitte nicht zu lang zu schreiben.


Gibt es denn bei sowas nicht immer einen Weg, den du selbst besser findest als alle anderen und auf den du deine Leser gerne leiten würdest?

Nein. Für jeden Weg musst du die Geschichte neu denken und vor allem lieben. Letztendlich sind es drei Storys in einer, die man nur finden muss. Jede davon muss spannend und zielführend sein. Vor kurzem habe ich in einem Roman das Experiment gewagt, verschiedene Enden anzubieten. Ich bin sehr gespannt, wie es ankommt. 


Wie viele Leute spielen das Buch durch, bevor sicher ist, dass es keine Sackgassen etc. gibt, also bevor es fehlerfrei veröffentlicht werden kann?

Mantikore [der Verlag] hat hier ein sehr gutes System entwickelt. Es gibt einen Spielbuchprüfer, der selbst welche schreibt, der jeden einzelnen Sprungpunkt auf Herz und Nieren testet. Der erstellt auch ein gigantisches Flowchart von allen Punkten, was wirklich krass abgefahren aussieht. Parallel dazu lasse ich von Testlesern Abschnitte spielen, um herauszufinden, ob diese funktionieren und Spaß machen. Hinzu kommt Logikprüfung, Lektorat, Korrektorat und Layout. Es greifen also viele Hände ineinander und jeder prüft das Spielbuch auf seine Weise durch. Zu diesem Zeitpunkt bin ich weitgehend raus, denn als Schreibender wird man nach dem hundertsten Durchlauf blind für Fehler. 


„Death Asylum“ ist, wie ich jetzt rausgehört habe, nicht dein letzter interaktiver Roman?

Wie gesagt, nachdem Death Asylum veröffentlich wurde, hatte ich mir geschworen, nie wieder ein Spielbuch anzufangen. Nun bin ich bei meinem neuen Projekt – wieder gemeinsam mit Mantikore  – bei Seite 400 und es geht so richtig die Post ab und das sogar ganz ohne Zombies :-)
Parallel dazu formt sich die Idee eines weiteren Spielbuchs in einem vollkommen anderen Genre. 
Es ist ohne Frage eine unglaublich intensive und komplexe Arbeit, die in einem Spielbuch steckt, aber wenn man es dann mit all den Illustrationen, Vignette, dem Layout und Cover in Händen hält, ist das einer der großartigsten Momente überhaupt. Ich bin infiziert!

Bleibt böse!

Euer M.H. Steinmetz


 

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