Kultur

30.09.2021

Bombe gesucht: Mit "Heilig Abend" führte das Junge Theater eine spannende Premiere auf


Nico Dietrich inszenierte das Kammerspiel aus der Feder von Daniel Kehlmann.

von Ralf Gießler

Göttingen) Das Junge Theater in Göttingen zeigte am Samstag mit "Heilig Abend" die erste Premiere der noch jungen Spielzeit. Intendant Nico Dietrich inszenierte das Werk aus der Feder des deutsch-österreichischen Schriftstellers Daniel Kehlmann. Der preisgekrönte Autor verfasste das spannende Kriminalstück als Kammerspiel. 

 

Kammerspiele sind in der Regel thematisch psychologisch ausgerichtet und entfalten ihre Wirkung mit nur wenig Schauspielern sowie spärlichem Bühnenbild. Das Augenmerk obliegt auf der Kraft der Dialoge zwischen den einzelnen Akteuren.

Polizeiermittler Thomas, gespielt von Jens Tramsen, verhört Heilig Abend die verhaftete Philosophieprofessorin Judith, dargestellt vom neuen Ensemblemitglied Dorothea Röger. Es besteht der Verdacht, dass diese gemeinsam mit ihrem Mann einen Terroranschlag geplant hat. Punkt Mitternacht soll eine Bombe explodieren. Der Verhörspezialist Thomas versucht zu erfahren, ob es diese Bombe gibt, wo genau sie versteckt ist und vor allem, wie man sie unschädlich machen kann. Jeder der beiden glaubt sich im Recht und an die eigenen Argumente: Judith, die ihre Unschuld beteuert und Thomas, der ihr ein Geständnis entlocken will.

Die zwei Schauspieler liefern sich gekonnt einen verbalen Schlagabtausch auf der Bühne. Es entwickelt sich ein packendes Duell, schließlich geht es um Leben und Tod. Aber nicht nur das, es geht auch um das Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit, um das System schlechthin, Kritik an diesem und über die gesellschaftlichen Zustände im Land. Es ist ein Thriller ohne erkennbaren Sieger oder Verlierer. In einem Interview äußerte sich Kehlmann dazu wie folgt: " Es darf in so einer (Verhör)Situation, glaube ich, nicht einen eindeutigen Gewinner oder Verlierer geben, deswegen muss einiges offen bleiben. Weil, wenn hier einer von den beiden eindeutig im Recht wäre und der andere im Unrecht, dann würde so ein Stück sofort in Propaganda umschlagen." Doch die Zeit rinnt dahin, und es stellt sich die Frage, ob es nicht doch am Ende einen Gewinner oder Verlierer gibt.

Mit der großen Uhr steht noch ein dritter Protagonist unübersehbar auf der Bühne. Eine Uhr, die zu Beginn 22.45 Uhr anzeigt und unaufhaltsam bis Mitternacht in Echtzeit abläuft, wie bei einem Countdown. Kann die zarte Philosophieprofessorin wirklich eine Terroristin sein, wäre sie tatsächlich zu einer solchen Irrsinnstat fähig? Und Thomas? Wie weit würde er im Verhör gehen, gibt es überhaupt eine Bombe, wendet sich am Ende doch alles zum Guten? Fragen über Fragen, die sich auch die Zuschauer stellen. Man weiß einfach nicht, zu wem man halten möchte, und genau das ist es, was "Heilig Abend" so spannend macht.

Mal laut, mal verzweifelt und leise, dann wieder provozierend und selbstsicher, Dorothea Röger und Jens Tramsen lassen die Figuren mit ihrem Schauspiel und ihrer Körpersprache vielschichtig erscheinen, was die Spannung zusätzlich erhöht. Als dann das Telefon pünktlich um Mitternacht klingelt, endet das Stück. Kam es zur Explosion oder hätte der Anruf verkündet, dass alles nur falscher Alarm war? Dieses abrupte Ende war vom Autor Kehlmann gewollt und bot den Zuschauern Stoff für weitere Unterhaltungen während der anschließenden Premierenfeier. Zusätzliche Informationen und Aufführungstermine sind unter www.junges-theater.de eingestellt.








 

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