Kultur / Rezensionen

02.09.2021

Kampf zwischen Macht und Moral


Marc Elsberg stellt bei Mordsharz „Der Fall des Präsidenten“ vor 

von Christian Dolle

Am Flughafen in Athen wird der ehemalige US-Präsident verhaftet. Im Auftrag des Internationalen Strafgerichtshofs. Kriegsverbrechen werden ihm vorgeworfen. Völlig unerwartet und schockierend für alle Anwesenden, ein internationaler Skandal, wenn die Welt es mitbekommt.

Daher werden sofort alle diplomatischen Strippen gezogen, um den Staatsmann so schnell wie möglich und vor allem mit so wenig Aufsehen wie möglich aus seiner misslichen Lage zu holen, notfalls eben mit Drohungen, die das politische und wirtschaftliche Miteinander der USA und Europas auf die Probe stellen.

Doch in der heutigen Zeit lässt sich eine solch nie dagewesene Ungeheuerlichkeit natürlich nicht vertuschen, ein Video taucht im Internet auf und verbreitet sich rasend schnell. Jetzt heißt es, im Hintergrund klug zu agieren, um eine Eskalation, vor allem aber einen Prozess gegen den Präsidenten und damit gefühlt gegen den Hüter der freien Welt zu verhindern. 

Allein diese Ausgangslage in Marc Elsbergs Thriller „Der Fall des Präsidenten“ ist ebenso gewagt wie absurd. Gewagt, weil in der Realität so schlicht unvorstellbar, absurd, weil natürlich die Frage gestellt werden muss, warum gerade die USA den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht anerkennen. Dabei ist der Hintergrund wie so oft bei Marc Elsberg ebenso real wie brandaktuell, die Trump-Regierung hatte die Chefanklägerin mit Sanktionen belegt, allein schon, weil sie mögliche US-Kriegsverbrechen in Afghanistan untersuchte. 

Diese Diskrepanz zwischen dem Anspruch der USA als Hüter der freien Welt und dem kalten Hinwegsetzen über internationale Statuten treibt Elsberg auf die Spitze. Seine Anklägerin nennt er Dana Marin, verpasst ihr eine persönliche Motivation durch Kindheitserfahrungen im Kosovokrieg und spielt die Verhaftung des in diesem Fall fiktiven Präsidenten gut recherchiert durch. 

Vor Gericht wird ganz im Stil des klassischen Gerichtsthrillers verhandelt, ob es überhaupt zur anklage kommen darf, hinter den Kulissen werden die diplomatischen und auch militärischen Möglichkeiten ausgelotet. Zudem tobt in den Medien und damit in der Öffentlichkeit ein Krieg um die Deutungshoheit dieser Angelegenheit und natürlich werden Dana Marin und alle in ihrem Umfeld diffamiert, eingeschüchtert und bedroht. 

Wie immer in seinen Büchern entwirft Marc Elsberg ein Szenario, das im Grunde schon morgen eintreten könnte und spielt es konsequent und sehr detailliert durch. Alles, was er schreibt, wirkt akribisch wirklichkeitsnah konstruiert, was es umso erschreckender macht und abseits der eigentlichen Handlung viele Fragen zum fragilen Gefüge der internationalen Politik und eben insbesondere zur Rolle der USA in der Welt aufwirft. Es geht letztlich um nicht weniger als den Kampf zwischen Macht und Moral, wohl eines der wichtigsten Themen unserer Zeit oder der Menschheit überhaupt.

Besonders erfreulich ist aber, dass Marc Elsberg mit Dana Marin eine lebensecht wirkende Hauptfigur geschaffen hat, die nicht nur ihre Funktion als Mittlerin für den Leser erfüllt. Besonders eine Szene, in der Dana sich mit dem Taxi zum Gericht fahren lässt und dabei mit dem Fahrer ins Gespräch kommt, zeigt, dass ihm auch die kleinen, zwischenmenschlichen Szenen gelingen. Der Taxifahrer macht deutlich, dass er nicht auf ihrer Seite ist, weil er sich vor den Konsequenzen eines solchen Prozesses fürchtet. Natürlich weiß er, dass die Kriegsverbrechen in Afghanistan zu verurteilen sind, ist aber fest überzeugt, dass man immer nur die Kleinen hängt, während man die Großen laufen lässt, und dass ein Prozess gegen die USA die nächste Wirtschaftskrise nach sich zieht, von der dann auch er und seine Familie betroffen sein wird.

In Szenen wie dieser wird immer wieder deutlich, wie brisant das Thema ist, weil es um äußerst plausible Szenarien geht, die genau wie in Elsbergs anderen Büchern „Blackout“, „Zero“, „Helix“ und „Gier“ letztlich jeden Einzelnen betreffen können. Er legt mit seinen Thrillern den Finger in Wunden, die viele vielleicht nicht als solche erkennen und regt damit immer wieder wichtige Diskussionen an. 

Eine solche Diskussion wird er am Freitag, 17. September, ab 19.30 Uhr in Nordhausen bei Mordsharz wohl auch mit Dietmar Wunder führen, mit dem er dort gemeinsam zu Gast ist. Dietmar Wunder hat das Hörbuch zu „Der Fall des Präsidenten“ eingelesen, das ebenso empfehlenswert ist wie das gedruckte Buch. 

Im Tabakspeicher sind zuvor ab 18 Uhr die stillen hunde aus Göttingen zu Gast, die sich Friedrich Glausers „Der alte Zauberer“ vornehmen, und anschließend ab 21 Uhr Arne Dahl gemeinsam mit Peter Lontzek als deutscher Stimme für seinen aktuellen Berger & Blom-Krimi „Vier durch vier“. Auch darauf freue ich mich jetzt schon wie ein kleines Kind auf den Osterhasen. 

Diese Rezension gibt es auch als Video auf Youtube:

Mehr Infos und alles rund ums Festival gibt es unter www.mordsharz-festival.com

Das vollständige Programm:

Mittwoch, 15. September – Harzlandhalle Ilsenburg
15 Uhr
Christoph Dittert / Jörg Klinkenberg
„Die Drei ??? und die schweigende Grotte“

19.30 Uhr
Preisvergabe „Harzer Hammer“

20 Uhr
Sebastian Fitzek
„Der Heimweg“

Donnerstag, 16. September - Kaiserpfalz Goslar
18 Uhr 
Tatjana Kruse
„Schwund“

19:30 Uhr
Arno Strobel / Dietmar Wunder
„Mörderfinder“

21 Uhr
Jean-Luc Bannalec / Uve Teschner
„Bretonische Idylle“

Freitag, 17. September – Museum Tabakspeicher Nordhausen
18 Uhr
Stille Hunde 
„Friedrich Glauser: Der alte Zauberer“

19:30 Uhr
Marc Elsberg / Dietmar Wunder
„Der Fall des Präsidenten“

21 Uhr
Arne Dahl / Peter Lontzek
„Vier durch Vier“

Samstag, 18. September – ZisterzienserMuseum Kloster Walkenried
18 Uhr
Alex Beer
„Das schwarze Band“

19:30 Uhr
Andreas Gruber
„Todesschmerz“

21 Uhr
Bernhard Aichner
„Dunkelkammer“ / „Gegenlicht“

Sonntag, 19. September – Kaiserpfalz Goslar
18 Uhr
Roland Lange
„Harzhunde“

20 Uhr
Klaus-Peter Wolf / Bettina Göschl
„Rupert Undercover – Ostfriesische Jagd“

 

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