Panorama

19.08.2021

Unterstützung für den Libanon dringend nötig


Dr. Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. gab Hala Fadel wertvolle Tipps für ihre Medikamentensammelaktion

Dr. Kamal Sido von der Göttinger Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und Hala Fadel
berichteten über die dramatische Lage des Landes: "Der Libanon steht am Abgrund".

von Ralf Gießler

Göttingen/Osterode) 200 Todesopfer, 6500 Verletzte, Teile der libanesischen Hauptstadt Beirut völlig zerstört - das ist die verheerende Bilanz einer der weltweit größten nichtnuklearen Explosionskatastrophe im August 2020. Ihrer wurde an ihrem Jahrestag von der Gesellschaft für bedrohte Völker e.V. (GfbV) in Göttingen gedacht.

Auch ein Jahr später bleibt die Situation der Menschen vor Ort traumatisch. Viele Probleme sind noch immer ungelöst. Da wo der Staat versagt, versuchen junge Libanesen durch Eigeninitiative selbst anzupacken.

Dr. Kamal Sido, Nahost-Experte und Menschenrechtler der GfbV in Göttingen, richtete vor diesem Hintergrund einen dringenden Appell an die deutsche Bundesregierung und hob dabei die besondere Stellung des kleinen Landes am Mittelmeer hervor: "Der Libanon ist das Land im Nahen Osten, in dem noch verschiedene Religionsgemeinschaften wie sunnitische und schiitische Muslime, Christen, Drusen und andere Volksgruppen friedlich miteinander leben und an der Macht beteiligt sind. Wenn das so bleiben soll, müssen die demokratischen Staaten Europas dem Libanon jetzt umfassende wirtschaftliche, aber auch politische Hilfe anbieten."

Hinzu käme, dass dort hunderttausende Geflüchtete aus Syrien Schutz gefunden hätten. Sollte sich in ihrem Zufluchtsland die politische und wirtschaftliche Lage durch Korruption und Vetternwirtschaft weiter verschlechtern, würden sich diese Menschen auf den Weg nach Deutschland und Westeuropa machen, warnte der Menschenrechtler und erklärte weiter: "Als gefährlich für das Land werde zudem die Rolle des schiitischen Iran und der sunnitisch geprägten Türkei eingestuft. Die Beispiele Irak und Syrien haben gezeigt, dass diese Länder jedes Vakuum ausnutzen, um sich in die inneren Angelegenheiten ihrer Nachbarländer einzumischen und sie zu destabilisieren. Dadurch würden Stellvertreterkriege angeheizt, die auf dem Rücken der Einheimischen ausgetragen werden. Dies führe unweigerlich dazu, dass nicht-muslimische Religionsgemeinschaften, wie zum Beispiel die Christen, für immer vertrieben werden. Dieses Schicksal drohe auch den Menschen im Libanon, wenn nicht bald gegengesteuert werde. Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hat in den vergangenen Jahren immer wieder deutliche Worte in Richtung Erdogan und den Mullahs im Iran gefunden. Diesem politischen Kurs sollte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel endlich anschließen, wenn sie Religionsfreiheit und ein gleichberechtigtes Miteinander aller Glaubensgemeinschaften im Nahen Osten in Schutz nehmen will."

Der Appell der GfbV ging neben Kanzlerin Merkel auch an alle Abgeordneten im Bundestag. Ebenso sei die europäische Ebene informiert. Ziel sei es, Frankreich als ehemalige Kolonialmacht Libanons in seinem Anliegen zu unterstützen. Dem Libanon müsse schnell geholfen werden. Würde ein neuer Bürgerkrieg beginnen, wäre es mit der Vielfalt im Lande und dem friedlichen Miteinander vorbei. Leider seien die zu erwartenden Antworten der Politik in Umfang und Inhalt erfahrungsgemäß überschaubar und allgemein gehalten.

Wie verheerend die augenblickliche Situation in ihrer alten Heimat zur Zeit ist, wusste die libanesischstämmige Göttingerin Hala Fadel - selbst mit ihrer Familie 1979 vor dem damaligen Bürgerkrieg nach Deutschland geflohen - aus erster Hand zu berichten: "Wir sehen im Fernsehen verzweifelte Ärzte, die am Limit arbeiten. Seit der Explosion 2020 haben sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse dramatisch verschlimmert. Die libanesische Lira ist abgestürzt, die Inflation galoppiert. Bankguthaben wurden eingefroren, so dass mindestens 50 % der Libanesen in Armut abgerutscht sind. Lebensmittel, Benzin, selbst Alltagsgüter werden zusehends unerschwinglich, Strom gibt's für etliche Stadtbezirke nur noch stundenweise. Aufgrund fehlender Devisen können wichtige Güter nicht mehr importiert werden. Selbst wenn man das nötige Geld hätte, müsste man lange nach Apotheken suchen, die die nötigen Medikamente noch vorrätig haben."

Da auch ihre Familie Hilferufe erreichen, versucht Hala Fadel gerade die Not ein wenig lindern zu helfen: "Ich möchte Medikamente, Verbandsmaterial und weitere, dringend benötigte Artikel sammeln. Auch die vielerorts fehlende Babynahrung ist ein großes Problem. Gern bin ich bereit, sie persönlich in den Libanon zu überführen, damit alles dort ankommt, wo es gebraucht wird. Dabei spielt die Ethnie oder die religiöse Zugehörigkeit keine Rolle. Ein befreundeter Journalist aus Osterode am Harz unterstützt mich dabei, Kontakte zu Organisationen, beispielsweise zur Gesellschaft für bedrohte Völker oder zum DRK in Osterode, zu knüpfen. Vielleicht gibt es darüber hinaus noch Personen, Vereine und Institutionen, die mich bei meiner Sammelaktion unterstützen würden."

Diese können sich gerne unter den E-Mailadressen suruna2@Hotmail.com und famragi@t-online.de melden.

 

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