Kultur

30.06.2021

Junges Theater ehrt Göttinger Dichter


Jan Reinartz, Jens Tramsen, Agnes Giese

Das Stück "Bürgerdenkmal" erzählt die Geschichte von Gottfried August Bürger

von Ralf Gießler

Göttingen) Der 24. Juni war für das Junge Theater in Göttingen ein ganz besonderer Tag. Zum einem fand mit "Bürgerdenkmal" eine Uraufführung vor ausverkauftem Haus statt. Zum anderen war es die erste Premiere seit mehr als acht Monaten im Theatersaal vor anwesendem Publikum. Zwei Tage später folgte bereits die zweite ausverkaufte Vorstellung: "Die heutige Aufführung nennen wir liebevoll die zweite Premiere", freute sich Intendant Nico Dietrich bei seiner kurzen Begrüßung der Zuschauer.

Das Stück über die Geschichte des berühmten, aber weitestgehend vergessenen Göttinger Dichters Gottfried August Bürger, schrieb und inszenierte Peter Schanz. Der Autor, Dramaturg und Regisseur ist durch seine verschiedenen, im Jungen Theater aufgeführten Werke, ein gern gesehener Gast und kein Unbekannter in der Leinestadt.

Gottfried August Bürger, lebte er in heutiger Zeit, würde man ihn wohl als Popstar der schreibenden Zunft bezeichnen, verstarb 1794 nur 46-jährig einsam, verarmt, von Schicksalsschlägen und häufigen Krankheiten gezeichnet, in Göttingen. Bürger selbst sah sich als Volksdichter und Dichter der Nation. Er wirkte in der Zeit der Aufklärung und wird der Epoche "Sturm und Drang" zugerechnet. Als "heißeste Nummer" im deutschen Literaturbetrieb hatte er Erfolg wie kein Zweiter, seine Leser liebten ihn. Und der Literat liebte zurück – leidenschaftlich, hemmungslos und weitgehend unglücklich. Seine Dichterkollegen Goethe und Schiller verbissen ihn so nachhaltig aus der literarischen Öffentlichkeit, dass ihn heute keiner mehr kennt, obwohl in Göttingen eine viel befahrene Straße nach ihm benannt ist: die Bürgerstraße, an der auch die jetzige Spielstätte des Jungen Theaters beheimatet ist. Höchste Zeit also, diesem großen Gescheiterten ein Stück Theater zu widmen: über seine Gedichte und seine Frauen, über toxische Männlichkeit und windige Abenteuer, über die Dialektik von Werk und Autor und natürlich über Göttingen.

Als das Saallicht erlosch, betrat Schauspieler Jan Reinartz die nebelumwaberte, mit zahlreichen beschrifteten Umzugskartons dekorierte Bühne und rezitierte "Lenore". Diese Ballade ist unter anderem wegen ihrer Unheimlichkeit auch heute noch immer sehr bekannt. Sie gilt nach den Geschichten um den legendären Lügenbaron von Münchhausen als bedeutendstes Werk Bürgers und verhalf ihm auch zu internationaler Bekanntheit. Andere Dichter inspirierte sie zudem. Den Satz "Denn die Toten reiten schnell“ aus der Ballade verwendete beispielsweise Bram Stoker in seinem berühmten Dracula-Roman.

Was folgte war ein temporeiches Spiel der drei Hauptakteure Jan Reinartz, Agnes Giese und Jens Tramsen, unterstützt von Steffen Ramswig, der vor allem für die Musik verantwortlich war. Mal verkörperte ein Darsteller allein den Literaten Bürger, mal alle drei gemeinsam. "Kennste Bürgerstraße? Kennste Bürgerdenkmal? Kennste Bürger?" Rhetorische Fragen, die Jens Tramsen dem Publikum stellte, gleich selbst beantwortete und somit für Aufklärung sorgte. Denn in der Tat sehen nicht wenige keine unmittelbare Verbindung zwischen der Bürgerstraße und dem Dichter. Es wurde mittels Hüpfebällen fröhlich die Bühne überquert, mit "Eisbär" fand gar ein Hit der achtziger Jahre Einzug ins Stück. Auch Goethe und Schiller, seine wohl größten Kritiker, kamen zu Wort. Das nicht immer einfache Leben Bürgers, seine Sorgen, Ängste, Nöte, seine Gedanken sowie die Freude am Dichten - all das brachte "Bürgerdenkmal" durch eine flotte und recht unkonventionelle Inszenierung "rüber".

Das Publikum ging mit und quittierte besonders gelungene Darbietungen mit Zwischenapplaus. Den Schauspielern gelang es, den fast in Vergessenheit geratenen Gottfried August Bürger den Zuschauern wieder näher zu bringen. Sollte heute einer "Kennste Bürger?" fragen, wird sicher die Antwort lauten: "Bürger? Kenn' ich!" Weitere Aufführungstermine sind auf www.junges-theater.de zu finden.


Jan Reinartz, Jens Tramsen

Agnes Giese

Jens Tramsen, Jan Reinartz, Steffen Ramswig, Agnes Giese



 

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