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18.06.2021

Sakrale Stätten sichern Erhalt der Artenvielfalt im Iran


Warum und wie werden ‚Heilige Haine‘ lokal wertgeschätzt und geschützt, und wie kann dies befördert werden? Ein Forschungsteam der Universität Kassel und der Universität Göttingen hat in Kooperation mit der University of Kurdistan diese Form lokalen Naturschutzes in der iranischen Provinz Baneh untersucht

Forschungsteam der Universitäten Kassel, Göttingen und Kurdistan untersuchen diese Form lokalen Naturschutzes

...Uni Göttingen

In welchem Ausmaß tragen traditionelle Praktiken zum Erhalt der lokalen Artenvielfalt in der kurdischen Provinz des Iran bei? Warum und wie werden ,Heilige Haine' lokal wertgeschätzt und geschützt, und wie kann dies befördert werden? Ein Forschungsteam der Universität Kassel und der Universität Göttingen hat in Kooperation mit der University of Kurdistan diese Form lokalen Naturschutzes in der iranischen Provinz Baneh untersucht.

"Auf der ganzen Welt stellen Gemeinschaften aus religiösen Gründen kleine Teile der örtlichen Landschaften unter Schutz – sei es in Äthiopien, Marokko, Italien, China oder Indien“, berichtet Prof. Dr. Tobias Plieninger, Leiter des Fachgebietes Sozial-ökologische Interaktionen in Agrarsystemen an den Universitäten Kassel und Göttingen. Natürliche sakrale Stätten sind Orte, an denen traditionelle Mythen und Geschichten, lokales ökologisches Wissen und Umweltschutz aufeinandertreffen. Jenseits staatlicher Schutzprogramme bilden sie ein Netzwerk informeller Naturschutzgebiete.

Im Grenzgebiet von Iran und Irak sind staatliche Naturschutzprogramme oft zum Scheitern verurteilt, während natürliche Ressourcen unter hohem Druck stehen. Auch in solchen Konfliktgebieten existieren dank traditioneller Schutzpraktiken vereinzelt artenreiche Wälder in Form jahrzehntealter sakraler Naturstätten, unter anderem sogenannter ‚Heiliger Haine‘.

Im Nahen Osten sind Heilige Haine weit verbreitet, haben als biokulturelle Hotspots bislang jedoch kaum Beachtung gefunden. Sie gehören meist zu Moscheen und dienen als Friedhöfe, deren Nutzung strikt reglementiert ist. Zwar machen sie häufig nur eine kleine Fläche von durchschnittlich ca. einem Hektar aus, sind jedoch reich an Artenvielfalt, bieten zahlreiche Ökosystemleistungen, und sind von großer kultureller und spiritueller Bedeutung für lokale Gemeinschaften. Von Ortsansässigen werden sie als Wohnstätten der Seelen ihrer Vorfahren gesehen. So berichtet Dr. Zahed Shakeri, der das Projekt als Post-Doktorand begleitete und in der Region aufgewachsen ist, von zahlreichen Mythen und Legenden, die sich um die Stätten ranken und sorgfältige Pflege sowie einen respektvollen Umgang gebieten.

„Unsere Forschungsgruppe entwickelte eine Faszination für die botanischen Schätze dieser Orte“, erzählt Plieninger. In einer Vegetationsstudie fand sie heraus, dass die taxonomische Diversität in Heiligen Hainen sehr viel höher ist als in angrenzenden, bewirtschafteten Flächen. Auch die Zusammensetzung der Vegetation unterscheidet sich grundlegend.

„Die 22 untersuchten Heiligen Haine beinhalten 20 Prozent der Flora der gesamten Region. Darüber hinaus beherbergen sie zahlreiche sehr seltene und bedrohte Pflanzenarten und stellen komplexe ökologische Nischen für bedrohte Tierarten dar“, berichtet Zahed Shakeri. „Aufgrund dieser taxonomischen Diversität können Heilige Haine als wichtige Ergänzung zu formellen Schutzgebieten in der Region und als Ausgangsbasis zur Wiederherstellung derselben dienen.“

Durch Veränderungen in Besitzrechten, Bevölkerungswachstum und der Schwächung traditioneller Glaubenspraktiken gehen Anzahl und Zustand heiliger Naturstätten auf der ganzen Welt zurück. Gegenstand der Forschung waren daher auch die Wahrnehmungen der lokalen Bevölkerung in Bezug auf Heilige Haine sowie die Gründe für deren guten Zustand in der untersuchten Region.

Über Interviews mit 205 Ortsansässigen aus 25 Dörfern machte die Forschungsgruppe Kernmotivationen der Menschen für den Schutz der Gebiete aus: Insbesondere spirituelle Werte, der Erhalt des spirituellen und kulturellen Erbes sowie der lokalen Artenvielfalt spielten hier eine Rolle. Darüber hinaus wurde die Bedeutung von Tabus deutlich, die vor allem die Nutzung natürlicher Ressourcen (Holzeinschlag, Jagd und Beweidung), den Straßenbau, aber auch das generelle Verhalten in den Stätten verbieten beziehungsweise stark beschränken.

Obwohl diese sozialen Werte und Tabus in der Provinz Kurdistan als relativ stabil gelten, verwiesen die Interviewten wiederholt auf die bedrohte Situation der Haine in der Region. Vor allem ältere und ländlich verortete Menschen, Frauen und Menschen mit traditionellen Lebensstilen würden gemeinhin als die Bewahrenden dieser Werte und Tabus gesehen. „Schutzprogramme könnten diese Gruppen darin unterstützen, ihre Bräuche zu verteidigen und wiederzubeleben. Junge, urbane und modern orientierte Menschen sind gleichzeitig eine wichtige Zielgruppe für Sensibilisierungsarbeit“, fasst Shakeri zusammen.

Das Beispiel der Heiligen Haine zeige, dass soziale Dynamiken und insbesondere kulturelle Werte im Naturschutz verstärkte Aufmerksamkeit verdienen. „Die biokulturelle Herangehensweise an den Naturschutz, die unterschiedliche Weltbilder und Wissensordnungen berücksichtigt, könnte soziale Tabus und die damit verbundenen Landnutzungspraktiken in sozial akzeptierbare und ökologisch wirksame Ergebnisse übersetzen“, schließt Plieninger.

Weitere Informationen

Auf dem Blog der Forschungsgruppe Sozial-ökologische Interaktionen in Agrarsystemen: medium.com/people-nature-landscapes

Zu den englischen Blog-Artikeln:
Sacred Groves in Kurdistan: Biodiversity, Locally Preserved
Sacred Groves as a Safe Shelter for Biodiversity and Culture in Kurdistan

Publikationen:

Plieninger, T., Quintas-Soriano, C., Torralba, M., Muhammadi Sammani, K., & Shakeri, Z. 2020. Social dynamics of values, taboos and perceived threats around sacred groves in Kurdistan, Iran. People and Nature 2: 1237-1250.

Shakeri, Z., Mohammadi-Samani, K., Bergmeier, E. & Plieninger, T. 2021. Spiritual values shape taxonomic diversity, vegetation composition, and conservation status in woodlands of the Northern Zagros, Iran. Ecology and Society 26, art. 30.

 

 

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