Regionales / Harz

09.06.2021

„Weil sich die Welt verändert, muss auch Kirche sich verändern“


Dr. Steffen Schramm

Vortrag von Dr. Steffen Schramm in der Kirchenkreissynode 

...KKHL Christian Dolle

Ein Pastor, der jeden in seiner Gemeinde kennt und für jeden Zeit hat. Dieses Idealbild wird häufig von der Kirche gezeichnet. Es ist längst überholt, sagen diejenigen, die sich mit Teilzeitstellen und deren Besetzung in Zeiten des Pastorenmangels und des demografischen Wandels wie auch des Bedeutungswandels von Kirche und Gemeinde herumschlagen müssen. Das Bild ist aber nicht nur überholt, es ist auch gar nicht so in Stein gemeißelt, wie viele vielleicht denken, sagt Dr. Steffen Scramm, Theologe, Buchautor und Leiter des Instituts für kirchliche Fortbildung in der pfälzischen Landeskirche. 

In der vergangenen Woche war er per Video zu Gast im Kirchenkreis Harzer Land und hielt im Rahmen der Kirchenkreissynodensitzung einen Vortrag über die Zukunft von Gemeinde, notwendige Veränderungen in der Kirche und Schritte zu einer neuen Ausrichtung. „Weil sich die Welt verändert, muss auch Kirche sich verändern und dabei aber ihrer Bestimmung treu bleiben“, stellte er eingangs fest, eine im Grunde simple, aber eben doch nicht selbstverständliche Botschaft.

Dabei habe es Veränderungen in Kirche und auch Gemeinde immer gegeben, begann er, beispielsweise gibt es Gemeindehäuser mit allem, was dazugehört noch gar nicht so lange, wie es manchmal den Anschein hat. Die nämlich entstanden erst als Gemeinden vor etwa 100 Jahren tendenziell kleiner wurden, insgesamt wuchsen und somit zahlreiche neue Kirchen und weitere Gebäude benötigt wurden. 

So richtig setzte sich das Modell, von dem jenes Idealbild abgeleitet ist, überhaupt erst nach dem zweiten Weltkrieg durch. Das hatte mit dem Bevölkerungswachstum wie auch dem Wirtschaftswunder zu tun, so dass auch deutlich mehr Kirchensteuern flossen. Die Folge war ein regelrechter Boom an neuen Gebäuden seit den 1950er Jahren, der bis in die 1980er anhielt. 

Immer wieder mussten die Strukturen von Gemeinde an die moderne Welt angepasst werden, machte er deutlich, weil das Althergebrachte schlicht nicht mehr funktioniert. So bildete sich damals eine Organisationsstruktur heraus, bei der im Grunde jeder bzw. jede Gemeinde „Einzelkämpfer“ war, was heute bei vielen zu Überlastung führt, weil es nun einmal Kraft und auch Geld kostet. 

Später wurden kirchliche Angebote zielgruppenorientierter, während die Massenmedien, mehr Freizeitmöglichkeiten und andere Faktoren die Bedeutung der Gemeinde veränderte. Krankenhausseelsorge, Krabbelgruppen und etliche Bildungsangebote wurden erarbeitet, um Gemeinde lebendiger zu machen. „Das stößt immer mehr an seine Grenzen“, stellte Dr. Schramm fest. 

Als einen Grund dafür nannte er eine Fokussierung nach innen, also Kirche kochte sozusagen viel zu oft im eigenen Saft. Heute, wo die Gemeinden wieder deutlich kleiner werden und auch die Finanzmittel schwinden, blutet ein solches System regelrecht aus, erst recht in Zeiten der kulturellen und religiösen Pluralisierung. Ein Umorganisieren sei also dringend notwendig, eigentlich nicht erst jetzt, sondern schon seit Jahren, machte er nachdrücklich klar. 

Ein Patentrezept gebe es natürlich nicht, doch gelte es, auf Kooperationen zu setzen, auf Vernetzung, zum einen der Gemeinden untereinander, zum anderen mit anderen Institutionen, um Synergieeffekte zu nutzen. „Dann können Veränderungen auch Spaß machen, weil sie die haupt- wie auch ehrenamtliche Arbeit erleichtern“, entkräftete er die Angst vor neuen Aufgaben. Es gehe darum, Ressourcen zu bündeln, Dinge neu zu denken und sich nach außen zu öffnen. 

Gemeinsame Pfarrbüros seien beispielsweise ein richtiger Schritt, verbundene Pfarrämter, in denen Pastor*innen eben nicht orts-, sondern kompetenz- und neigungsgebunden ihre Aufgaben verteilen. Alles Dinge, die es im Harzer Land zum Teil schon gibt, es gibt also keinen Grund für Angst und Schrecken, denn vieles ist ja bereits auf den richtigen Weg gebracht. Während die Belastung kleiner wird, könnten die Ziele damit größer werden.

Vor allem solle Kirche wieder im Alltag der Menschen stattfinden, statt Angebote zu machen und zu hoffen, dass jemand kommt, müsse man auf die Leute zugehen. Der Blick darf dann nicht nur nach innen, sondern muss nach außen auf die Welt oder vielmehr die Region gerichtet sein. Es gehe nicht darum, so viel wie möglich anzubieten und vor allem muss auch nicht alles flächendeckend in allen Gemeinden gemacht werden, vielmehr sollten die zentralen Fragen lauten: Was wird gebraucht? Wer braucht Hilfe? Was ist unser Auftrag?

Zuletzt führte Dr. Schramm noch aus, dass dies keinesfalls ein anstrengender Umbruch sein müsse, sondern ein Modell ist, das immer wieder den Lebenswirklichkeiten der Menschen angepasst wird. Zwischendurch wie auch zum Ende gab es immer wieder die Gelegenheit, in Kleingruppen über die Thesen des Referenten zu diskutieren und eigene Aspekte einzubringen, so dass am Ende etliche Impulse haften blieben, die sicher in die bevorstehende Umgestaltung im Kirchenkreis einfließen werden. 




 

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