Politik / Wirtschaft / Bildung / Wirtschaft

08.06.2021

Jeder siebte Beschäftigte hat Branche in einem Jahr verlassen 


Allein mit den Gästen: So wie diese Servicekraft kommen viele Beschäftigte im Gastgewerbe mit der Arbeit kaum hinterher – weil während der Pandemie ein großer Teil des Personals die Branche verlassen hat. Die Gewerkschaft NGG fordert, Gastronomie und Hotellerie für Fachkräfte attraktiver zu machen.

Hotels und Gaststätten: NGG warnt vor Fachkräfte-Notstand im Kreis Göttingen

...NGG

Auf die Corona-Krise folgt die Fachkräfte-Krise: Nach monatelangen Lockdowns können Hotels und Gaststätten im Kreis Göttingen unter Auflagen wieder öffnen – finden aber häufig kein Personal mehr, das die Gäste bedient. „Das Gastgewerbe blutet seit Beginn der Pandemie personell aus. Dringend gebrauchte qualifizierte Kräfte sind in andere Branchen abgewandert“, konstatiert Katja Derer von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG).

Nach Angaben der Arbeitsagentur haben im Landkreis Göttingen allein zwischen Juni 2019 und Juni 2020 rund 1.100 Beschäftigte das Gastgewerbe verlassen – das ist jeder siebte Arbeitnehmer (minus 15 Prozent). Angesichts weiterer Lockdowns dürfte sich der Fachkräftemangel seit dem Herbst bis heute nochmals zugespitzt haben, warnt die Gewerkschaft.

„Wenn die Branche nicht rasch gegensteuert, könnte der von vielen Menschen lang ersehnte Urlaub oder Restaurantbesuch am Personalmangel scheitern“, so Derer. Die Geschäftsführerin der NGG-Region Süd-Ost-Niedersachsen-Harz macht für die Situation insbesondere die Einkommenseinbußen durch das Kurzarbeitergeld verantwortlich. Angesichts der niedrigen Löhne im Hotel- und Gaststättengewerbe kämen die Beschäftigten selbst mit 80 Prozent des Kurzarbeitergeldes, das ab dem siebten Bezugsmonat gezahlt werde, nicht über die Runden – und seien dazu gezwungen, sich beruflich umzuorientieren. Eine gelernte Köchin kommt nach NGG-Angaben in Niedersachsen lediglich auf einen Verdienst von 12,08 Euro pro Stunde. Ungelernte Kräfte lägen bei einem Stundenlohn von 9,80 Euro. Selbst der gesetzliche Mindestlohn, der im Januar auf 9,82 Euro steigt, würde die niedersächsische Hotel- und Gastro-Branche überholen.

„Schon vor Corona waren die Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe alles andere als rosig. Die Betriebe haben es versäumt, die Arbeit attraktiver zu machen. Das rächt sich jetzt“, so Derer. Nach Beobachtung der Gewerkschafterin sei ein Großteil des Personals in den Lebensmitteleinzelhandel, zu Drogerie-Ketten oder in die Lieferbranche abgewandert. „Die Menschen wieder für die Arbeit in der Küche oder an der Rezeption zu gewinnen, ist eine Mammutaufgabe – und kann nur durch armutsfeste Löhne und bessere Arbeitsbedingungen gelingen“, ist Derer überzeugt.

Die NGG Süd-Ost-Niedersachsen-Harz ruft den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) dazu auf, gemeinsam einen Zukunftsplan für die Region zu entwickeln. Zwar seien viele Betriebe durch die Pandemie hart getroffen. Doch strukturelle Probleme gebe es schon seit langem. So müsse das Gastgewerbe das Mindestlohn-Image überwinden, um für Schulabgänger und Fachleute attraktiv zu sein. Mit Blick auf die Sommersaison habe zugleich der Schutz der Beschäftigten vor Infektionen höchste Priorität. „Wirte und Hoteliers müssen erkennen, dass die Mitarbeiter im Dienstleistungsbereich das höchste Gut sind – und sie auch so behandeln und bezahlen“, so Derer weiter. 

 

Anzeige