Kultur / Federkiel / Flugzeuggeschichten

24.05.2021

Meeresrauschen


von Johannes Nordmann      

Mein Freund und ich unterscheiden uns in der Hauptsache darin, dass er ein sportlicher, abenteuerliebender Typ ist, während er mich meist als langweiligen Stubenhocker bezeichnet. Er hatte sich in letzter Zeit dem Windsurfen verschrieben und kannte schon alle Gewässer in unserer Gegend. Auf meine ihm unverständliche Frage, was ihm das denn so bedeute, erklärte er mir, der Kampf mit den Elementen gäbe ihm das Gefühl von Freiheit und Abenteuer. Davon träumt manchmal auch ein sogenannter häuslicher Typ wie ich.

Kurz und gut verkaufte er mir sein Surfbrett zum halben Preis, er wollte sich sowieso ein besseres und schneller gleitendes kaufen. Mein neuer Besitz bescherte mir eine folgenschwere Zeit. Ich brauchte noch einen ganzen Haufen Utensilien, der Fachmann möge mir verzeihen, unter anderem so eine Art Dachgepäckträger. Mein Auto ist ein sehr altes Modell, und ich musste mehrere Tage damit verbringen, einen passenden fürs Autodach zu finden.

Ein Surfbrett ist nicht klein. Prompt beschwerte sich mein Vermieter, sein Grundbesitz sei schließlich kein Sportgeschäft. In meinem kleinen Schlafzimmer ist nun schon einmal sowieso wenig Platz, aber ich warf einfach meine Freundin aus dem Doppelbett und bedeutete ihr, dass in der Zukunft nur noch einseitig geliebt werden würde, denn die nun freigewordene Seite des Bettes sei für mein Surfbrett bestimmt. Sie verschwand wutentbrannt in ihre eigenes zu Hause, anscheinend verstand sie meinen Wunsch nach Freiheit und Abenteuer nicht so richtig.

Es war nicht leicht, das Gerät die drei Stockwerke hinauf zu tragen, zwei Lampen im Treppenhaus mussten dran glauben. Als es endlich friedlich auf dem Bett lag, war ich ganz schön geschafft, aber ich schlief wenigstens nicht allein. Den Mast wollte ich in der Küche unterbringen. Das ging jedoch nicht, weil ich dann den Kühlschrank auflassen musste und was sollte ich mit einem gekühlten Masten. Ganz cool legte ich ihn auch ins Bett. Es wurde jetzt zwar etwas eng, aber was tut man nicht alles, um einen Traum zu verwirklichen.

Daraufhin las ich mehrere Fachbücher und kam zu dem Schluss, dass man am besten surfen kann, wenn Wind und Wasser vorhanden sind. Nach dieser Erleuchtung nahm ich mir zwei Tage frei, wollte gleich eine größere Tour machen, an die Nordsee fahren und vielleicht sogar bis Helgoland surfen. Der Sonnenaufgang versprach einen prächtigen Tag. Wohlgemut transportierte ich das Surfbrett durchs Treppenhaus, drückte eine Scheibe ein, woraufhin der Besitzer des Hauses etwas von Kündigung knurrte. 
Dagegen bin ich versichert. Eigentlich bin ich gegen alles versichert, außer gegen Versicherungsvertreter.

Beim ersten Versuch, das Brett auf die Halterung zu heben, entglitt es mir und nahm auf dem Weg zur Erde den Scheibenwischer mit.  Als ich es endlich auf dem Wagen hatte, es festzurren wollte, riss ein Gummizug und derselbe mir fast ein Ohr ab. Trotz der Schmerzen dachte ich mir, macht nichts,  habe ja zwei.
Jetzt stellte ich mit Schrecken fest, dass das so entstandene höhere Fahrzeug nicht durch das mit einen Bogen überdachte Gartentor passte, hinter welchem ich den Wagen immer parke. Also, Brett runter, Wagen raus, Brett drauf, inzwischen war es Mittag. Es war ideales Surfwetter, die Sonne schien und der Wind wehte. Nichts wie los an unsere schönen Nordseestrand, doch kam ich nicht weit.

Zwei Polizisten hielten mich an, erklärten mir, das mein liebes Surfbrett zu lang für meinen Kleinstwagen sei, ich hätte es laut Gesetz mit etwas vorgeschriebenen Roten am Ende zu kennzeichnen. Für ihre moralische Unterstützung verlangten sie 20,- DM.

Die nächste Stunde verbrachte ich mit der Suche nach dem roten Ende. Dies ist nicht politisch zu verstehen. Als auch diese Hürde genommen war, wollte ich nun schnellstens nach Norden. Fuhr ich aber schneller als 50 km/h, drohte mein Wägelchen ob der neuen Tragfläche abzuheben. Gegen Abend erreichte ich die Küste und fand endlich, nachdem die Dunkelheit hereingebrochen war, einen Parkplatz. Selbstverständlich waren auch alle Betten der Kurgastgemeinde belegt.

Ich ging etwas deprimiert auf den Deich, mein Wunsch nach Freiheit und Abenteuer musste bis zum nächsten Tag warten. Versonnen sah ich mir im Mondschein die vielen Sandburgen an. Daran erkennt man nämlich den guten Deutschen, speziell an ausländischen Stränden.

Übermüdet zwängte ich mich auf die Rückbank meines Autos.
Warum ich ausgerechnet in einer Urlaubsnacht Alpträume hatte, verstand ich nicht, war doch ein anderer Traum so nah. Völlig zerschlagen kroch ich morgens aus der Notunterkunft, fand nach etlicher Zeit einen Platz für die Körperpflege, erledigte auch dies und fuhr dann zum Deich zurück. 

Am Treppenaufgang stand jedoch jetzt ein blonder, blauäugiger Hüne in Wächteruniform, er bedeutete mir - ich muss wohl etwas südeuropäisch ausgesehen haben - "Nix Kurkarte, nix Strand!" Ich frage mich immer wieder nach dem Sinn dieser Einrichtung, denn auch bei uns im Harz unterscheidet man bei Eintrittspreisen die "Gekürten" von den Einheimischen, die trotz dieses Status den höheren Preis zahlen.

Jedenfalls hatte des zuständige Büro, das ich nach langem Suchen endlich fand, gerade Mittagspause. So harrte ich weiterhin voller Spannung und Vorfreude dem Glück entgegen. Nachdem ich das begehrte Kärtchen in der geballten Faust hielt, platzte auf dem Weg zum Strand ein Reifen und mir so langsam der Kragen. Der Reifenwechsel erwies sich als langwierig, weil mir der Wind dauernd Sand in die Augen blies, doch erreichte ich endlich nachmittags den Hünen mitsamt Deich im Rücken. Er grinste mir verständnisvoll zu, als beim Abnehmen des Surfbrettes die Halterung desselben sich selbstständig machte, was mich den Außenspiegel kostete.

Jetzt war mir aber schon alles gleichgültig, ich stürmte den Deich hinauf und - es war Ebbe !!
Weit und breit kein Wasser ? In einer Anwandlung von kaltem Zorn schenkte ich das Schei... schöne Ding einer vorbei gehenden, gesund aussehenden Dame.

Genau in diesem Augenblick überkam mich endlich das Gefühl der absoluten Freiheit !

 

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