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26.04.2021

Fortschritt wohin?


Am 26. April 1986 ereignete sich die bis heute größte Nuklear-Katastrophe der Geschichte: Die Explosion im ukrainischen AKW Tschernobyl verseuchte riesige Landstriche.

von Johannes Nordmann

Als ich am 20.4.1986 einen Artikel über Gartenpflege las, konnte ich einige Zeit danach nicht gut schlafen, da mein Gewissen mir sagte, ich müsse doch nun endlich als Gartenbesitzer etwas tun. Ein übermäßiger Freund der dort anfallenden Arbeiten bin ich ganz bestimmt nicht, lasse es lieber ein wenig schluren. Trotzdem bekam ich Dank eines Ortes namens Tschernobyl doch noch einen STRAHLENDEN Garten, obwohl ich deswegen jetzt nicht besser schlafen kann. 

Durch ein in jenem ukrainischen Dorf laut Fachleuten fast auszuschließendem Unglück wurde mein bisheriges Umgraben des Bodens zu einem auch nutzlosen Energieverbrauch abgestempelt. An den Pflanzen, die ich anhand des Artikels mit Pflanzenschutzmitteln besprühen sollte, tummelten sich jetzt kleine, unsichtbare, Caesiumhundertsiebenunddreißigkobolde. 

Auf knackigfrischem Frühlingsgemüse unter dem Solarbeet ahnte ich, wie sich Hunderteinunddreißiger Jodpartikel ihres Daseins erfreuten. Anscheinend kommen sie um alle Ecken und durch alle Ritzen. In den Augen einer Drossel, die wissend einen (radio)aktiven Regenwurm verschmähte, meinte ich so etwas zu lesen wie schon einmal besungen: Wann wird man je verstehen? 

Vielleicht komme ich im nächsten Jahr wieder um die Gartenarbeit herum, denn wir haben ja noch Orte wie Grohnde, Wackersdorf und noch wer weiß wie viele Möglichkeiten unseres nuklearen Fortschritts. 
Heute schreiben wir den 22.6.1986 und ich lese wieder etwas in der Zeitung: Die breite Masse wird beruhigt und im Zaum gehalten, denn unser höchster Mann im Staat behauptet: "Unsere Kernenergie ist sicher!" 
Weltweit gesehen ist sie todsicher!

Super-GAU Tschernobyl - Sarkophag für die Ewigkeit?

35 Jahre nach dem Atomunglück in Tschernobyl in der Unglücksregion. Dort sind die Spuren der Katastrophe immer noch spür- und messbar.

Alle Experten sind sich einig: Es ist völlig unklar, wie der Unglücksreaktor zurück gebaut und entsorgt werden kann. Ebenso wenig, was mit der einstigen Stadt der Ingenieure passieren soll. Alles ist letztlich nichts anderes als Atommüll.

Zwei Jahre nach der Katastrophe beging Waleri Legassow, Leiter der Tschernobyl-Untersuchungskommission, Selbstmord und hinterließ Tonbänder - sein Vermächtnis. In ihnen tat er kund, was er öffentlich nicht preisgeben durfte: die für ihn wahren Schuldigen.

 

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