Kultur / Rezensionen

17.04.2021

Ode an die Sprachnachricht


"113" - Humorvoll-gruseliges Hörspiel und Kommunikationskritik

von Christian Dolle

Sprachnachrichten. Für die einen sind sie ein Segen, weil sich schnelle Mitteilungen kaum schneller in die digitale Welt schicken lassen, für die anderen sind sie gerade deshalb aber eben ein Fluch, weil jeder ungefiltert losblubbert und sich nur selten vorher Gedanken macht, welche Information er überhaupt mitteilen möchte. Als eine der vielleicht umstrittensten Kommunikationsformen unserer Zeit wurde es höchste Zeit, dass die Sprachnachricht Thema eines eigenen Hörspiels ist.

Dieses Hörspiel nennt sich „113“, denn so viele Sprachnachrichten hat der Protagonist bei der Fahrt zu einem Meeting auf dem Smartphone und muss sie sich alle anhören. Autor des skurril anmutenden Werkes ist Thomas Plum, die Regie übernahm er gemeinsam mit Kim Jens Witzenleiter, erschienen ist es bei Wolfy-Office und dort zum Herunterladen käuflich zu erwerben. 

Inhaltlich haben sich die Macher im Grunde nur sich selbst vorgenommen, also das eigene Hin und Her  von Messages im Vorfeld des eigentlichen Meetings. Ein Treffen ist organisiert, ein Hörspiel soll entstehen, eigentlich ist alles klar, doch dann tauchen immer mehr kleine Fragen auf. Haben alle das richtige Script bekommen? Ist das Hotel okay oder eine billige Absteige? Sind alle überhaupt auf dem richtigen Weg dorthin? 

Ist es das richtige Hotel?

Je mehr Beteiligte sich einschalten und für Klärung sorgen wollen, desto mehr Verwirrung entsteht. Hotel „Grüner Wald“ im Schwarzwald oder doch Hotel „Schwarzwald“ im Grunewald? Und warum sieht das Hotel so düster und verlassen aus? Als dann bei einigen auch noch der Empfang schlecht ist, wird es zunehmend gruselig. (Ach wären sie doch bloß in den Harz gefahren.) 

Es ist ein für ein Hörspiel neues und durchaus experimentelles Projekt, da eben der größte Teil des Hörspiels aus den Sprachnachrichten besteht. Dabei gab es wohl nur ein grobes Drehbuch, vieles ist improvisiert, so dass sich die Geschichte dementsprechend unvorhersehbar entwickelt. Trotzdem baut sich die Spannung mehr und mehr auf, da immer auch diese Ungewissheit bleibt, was eigentlich wirklich passiert und was doch nur dem Medium Sprachnachricht geschuldet ist.  

Primär entwickelt sich das Hörspiel zu einer Gruselgeschichte, auf einer Metaebene geht es aber auch immer um Kommunikation. Es ist eine gewisse Zeitkritik, vielleicht auch nur eine zeitgeschichtliche Betrachtung unseres sich stetig verändernden, weil technischer werdenden Miteinanders. Gerade in Zeiten der Online-Meetings etc. kennt jeder diese kurzen Absprachen, die sich auf der einen Seite auf das Wichtigste reduzieren, zwischen den Zeilen vieles unbewusst preisgeben, anderes aber dadurch verschleiern. 

Durch und durch gelungenes Experiment

Vor einigen Jahren erschien der Roman „E-Mail an alle“ von Matt Beaumont, der einzig und allein aus Mails innerhalb einer Firma besteht. Ein ähnliches Konzept, das im Buch absolut aufging, ebenso verhält es sich auch mit diesem Hörspiel. Vielleicht dauert es eine Weile um reinzukommen, dann aber fühlt es sich sehr authentisch an. 

Dazu muss betont werden, dass sämtliche Sprecher sehr gute Arbeit leisten, die Stimmen sind deutlich unterscheidbar und trotz vieler Rollen wird es nie zu verwirrend. Auch das sparsame Sounddesign passt und trägt zur Atmosphäre bei. Vor allem aber ist es eine gelungene Mischung aus natürlichem Humor und sich allmählich aufbauender Spannung, die genau richtig dosiert ist, lebensecht wirkt und damit so individuell ist, dass diese Geschichte auch in Erinnerung bleibt. Es gleitet nie in klischeehafte Erzählweisen ab, kommt aber auch nicht zu experimentell oder medientheoretisch daher, sondern macht Spaß, ist packend und somit ein durch und durch gelungenes Experiment.

 

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