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14.04.2021

Werner Vogel bringt seit 45 Jahren Streitparteien zum Reden


War 45 Jahre der Schiedsmann der Samtgemeinde Hattorf: Werner Vogel, hier mit seiner Frau Gisela

Schlichten statt Richten: Bei Nachbarschaftsstreitigkeiten in der Samtgemeinde hilft der Schiedsmann

...von Herma Niemann

Wenn der Ast über den Zaun zum Nachbarn hängt, die Musik mal wieder zu laut war oder im Streit ein beleidigendes Wort gefallen ist, rufen die beteiligten Parteien schnell nach einem Richter. Doch muss nicht jeder Nachbarschaftsstreit vor Gericht enden, was unter Umständen viel Geld kostet und lange Verfahrenszeiten mit sich zieht.

In der Samtgemeinde Hattorf ist seit fast genau 45 Jahren Werner Vogel aus Wulften der Schiedsmann, der zerstrittene Parteien wieder zusammenführt und wieder zum Reden bewegt. Denn in den meisten Fällen geht es auch ohne ein teures Verfahren, wenn sich die gegnerischen Parteien bei bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten an einen Schiedsmann wenden. 45 Jahre in diesem Ehrenamt, das bedeutet auch, dass Werner Vogel die unterschiedlichsten Streitigkeiten miterlebt hat. Darunter waren auch einige skurrile Fälle, wie er sich in einem Gespräch mit unserer Zeitung erinnert. Aber über Einzelheiten dürfe er natürlich nicht sprechen. Eine Schiedsmann muss absolutes Stillschweigen bewahren.

Im Frühjahr 1976 übernahm Vogel das Amt, nachdem er von Ratsherren des Samtgemeinderates gefragt worden sei. Damals sei er gerade mal 30 Jahre alt gewesen, das ist das Mindestalter für eine Schiedsperson. Nachdem der Samtgemeinderat darüber abgestimmt hatte, wurde Vogel offiziell vom Herzbeger Amtsgerichtsdirektor vereidigt. Heute genüge eine förmliche Verpflichtung. Auch wenn er damals und auch anschließend noch regelmäßig an von der Samtgemeinde finanzierten Lehrgängen teilnahm, sei sein Amtseintritt dennoch wie ein Sprung ins kalte Wasser gewesen. „Damals war ich der jüngste Schiedsmann in der Bezirksvereinigung Göttingen, heute bin ich wohl der Dienstälteste“, so Vogel augenzwinkernd.

Das Schiedsamt ist ein Ehrenamt, vermittelt zwischen den zerstrittenen Parteien und trägt letztendlich auch dazu bei, die Justiz zu entlasten. Bei gewissen Delikten ist sogar ein Termin mit einem Schiedsmann obligatorisch. Dies ist zum Beispiel der Fall bei Beleidigungen, leichter Körperverletzung, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Bedrohung und bei Verletzung des Briefgeheimnisses. Ein Schlichtungsverfahren kostet zwischen 50 und 70 Euro, so Vogel, die dann entweder von einer Partei oder von beiden Parteien zu gleichen Teilen zu tragen sind. Die Kosten vor Gericht würden weitaus höher liegen. Erst wenn der betreuende Schiedsmann vorlegen kann, dass eine Schlichtung erfolglos ist, kann die Sache vor Gericht gehen. In bis zu 70 Prozent seiner Fälle, so Vogel, habe er jedoch eine Einigung in einem Schlichtungsverfahren erzielen können.

Oftmals ist der Grund für einen Streit eine Kleinigkeit, der jedoch schnell eskalieren kann und sich die Fronten verhärten, so dass kein normales Gespräch mehr möglich sei. Im ersten Schritt wird nach dem Antrag zur Durchführung einer Schlichtungsverhandlung vom Schiedsmann ein Termin anberaumt und beide Parteien förmlich per Zustellung geladen. Dazu könne man auch einen Anwalt mitnehmen, der seinem Mandanten jedoch nur als Berater zur Seite stehe und nicht als Wortführer gegenüber dem Schiedsmann vertritt, so Vogel. In jedem Fall müsse man selbst erscheinen und könne sich nicht vertreten lassen. Handelt es sich dabei um einen offiziellen Fall, habe man bei einer gütlichen Einigung mit dem geschlossenen Vergleich, den beide Parteien unterschreiben müssen, einen vollstreckbaren Titel, der im Bedarfsfall 30 Jahre Bestand hat vor Gericht.

Eine zweite Möglichkeit ist ein sogenanntes Tür-und-Angel-Verfahren, das ohne offizielles Protokoll stattfindet und das auch keinen offiziellen Vorgang darstellt. In der Samtgemeinde seien die Wege nicht so weit. Manchmal habe es schon genügt, wenn Vogel raus zu den Menschen gefahren sei und sich die Örtlichkeiten angeschaut habe. „In vielen Fällen konnte der Streit noch vor Ort beigelegt werden, ohne dass daraus ein offizieller Vorgang wurde. Manchmal reicht eben schon ein Anstoß von außen, dass die Menschen wieder ins Gespräch kommen“.

Auf die Frage, ob sich die Menschen im Verlauf der vergangenen 45 Jahre seiner Meinung nach in Streitfällen geändert hätten, sagt Vogel, dass heute die Fronten schneller verhärten und oftmals gleich mit einem Anwalt gedroht werde. „Früher hat man sich doch mehr über den Gartenzaun verständigt“, so Vogel „heute wird zu wenig miteinander gesprochen“. Von einem sehr beeindruckendem Erlebnis berichtet Vogel in dem Gespräch auch noch. Im Jahr 2015 wurden er und seine Frau Gisela zum Bürgerfest des Bundespräsidenten, damals noch Joachim Gauck, in den Garten und auch in das Schloss Bellevue in Berlin eingeladen. Bei dem Bürgerfest steht die Würdigung des Ehrenamtes im Mittelpunkt. Der erste Abend war nur den geladenen Gästen mit einem stilvollen Buffet und einem Bühnen-Rahmenprogramm gewidmet. Vogels Amtszeit endete am 1. April. Sein Stellvertreter war in den vergangenen fünf Jahren Gerhard Hübner. Nachfolger von Vogel wird Dieter Wemheuer und seine Stellvertreterin Melanie Behre. Eine offizielle Verabschiedung aus dem Amt und Würdigung der Arbeit von Werner Vogel soll in einer nächsten Sitzung des Samtgemeinderates erfolgen.

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