Kultur / Federkiel / Flugzeuggeschichten

07.03.2021

Abendzeit - Schlafzeit


von Johannes Nordmann

Es war an einem lauen Juniabend. Ich hatte eine nette ältere Dame kennen gelernt oder genauer, ihre Tochter und später dann auch die Mutter. Aber so kompliziert schien mir dieser Abend nicht zu werden, denn wir saßen auf der Terrasse ihres Hauses, hinter uns das kleine Dorf mit 150 Seelen, vor uns ein knapp sieben Kilometer langes Tal, an dessen Ende der Wald und die Welt begann. 

An den Seitenhängen Kornfelder, im Tal selbst Wiesen, auf denen Kühe grasten. Am Horizont die Silhouette unseres kleinen Harzgebirges. Über uns Kondensstreifen, an deren Anfang, wie silberne Pfeilspitzen, die Flugzeuge ihres Weges zogen.  Trotz dieser Herrlichkeiten überkam mich mein altes "Leiden" Fernweh, und eine Müdigkeit, die mich befallen hatte, verschwand im Nu. 

Nach und nach kamen noch einige Bekannte der beiden hinzu. Gespräche wurden geführt, doch ich war in Gedanken schon wieder auf einem anderen Kontinent. Jedoch schien eine Person Probleme zu haben. Es handelte sich um das Ende ihrer Beziehung mit einem Mann. Sie hätte zwei Jahre ihres Lebens verschenkt und wollte nun aber einiges nachholen. Eine andere Person fügte hinzu, dass auch sie anscheinend eine Zeitlang ohne viel Sinn gelebt hätte und auch Nachholbedürfnis verspüre. 

So klagten einige der Anwesenden sich gegenseitig ihr Leid. Ich selbst lebte derzeit gerade selbst gerade in Scheidung. Wir hatten uns auseinandergelebt, sind aber dennoch Freunde geblieben. Sicher, es hat auch einige weniger erfreuliche Augenblicke während unserer Ehe gegeben, ich möchte diese Zeit aber trotzdem nicht missen. 

In Gedanken versunken lächelte ich vor mich hin, denn als ich das erste Mal mit unseren Trauzeugen, einem befreundeten Ehepaar aus Norwegen, über eine eventuelle Scheidung sprach, riet mir der Mann, mein Freund Roar ab. Auf meine erstaunte Frage nach dem Grund antwortete er schmunzelnd: "Warum sollst Du es besser haben als ich?" 
Etwas Besseres hätte er nicht sagen können. 

Inzwischen kam der Mond über den Horizont und ich ging mit der Mutter abseits, um den Mondaufgang zu genießen. Wir schwiegen, denn sie hatte kürzlich ihren Mann nach schwerer Krankheit verloren.
Worte zerstören, wo sie nicht hin gehören.

Die Leute auf der Terrasse diskutierten eifrig weiter, man fühlte sich betrogen, hintergangen und ausgenutzt. Auch an mich wandte man sich später, glaubte, dass ich ähnliche Probleme mit mir herumschleppen würde, ja man wurde sogar indiskret und fragte mich, ob ich auch andere Partner während der Ehe gehabt hätte.

Es war mir einfach zu blöd und ich antwortete: "Ja, zwei, aber mit einigen von ihnen war es recht lustig." Man verstand die Ironie nicht so richtig. Erst als ich lachend darauf reagierte, ob ich auch das Gefühl hätte, im Leben etwas verpasst zu haben, wurde es verstanden: "Ich habe nie ein langweiliges Leben geführt. Das einzige, was ich seit eh und je versäumt habe, ist eine ganze Menge Schlaf!"

 

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