Kultur

09.01.2021

Ein Interview mit Sophie Dix - Regisseurin des Films "Kunst verbindet - Die Dokumentation"


Gefragte Regisseurin, Sophie Dix umringt von Grundschülern in Kaolack

von Tobias Rusteberg

Was war das Besondere an diesem Film (nach zwei Begegnungen)?

Jemand sagte nach der Reise zu mir, ich hätte eigentlich alles zweimal gesehen. Einmal mit meinen Augen und einmal durch die Kamera. Dadurch war das Filmen eine viel größere Herausforderung als in bekannter Umgebung. Gleichzeitig ist es aber ein schönes Bild dafür, dass jede Szene eben auch für mich eine Annäherung an einen Alltag, eine Geschichte oder eine Haltung war, die ich noch nicht kannte - und ohne die Begegnung nie kennengelernt hätte.

Wie hast du die Begegnungsreise erlebt?

Der Film zeigt die Reise vor allem aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler. Jedoch waren auch die Elhadj Diouf Foundation und die Stadt Osterode vertreten. So hatten wir mit dem Besuch unserer Partnerschulen, den Projekten der EDF in Kaolack, der Kooperation des Département Kaolack und der Kommune Osterode und den verschiedenen Stationen zum Thema Kunst sehr unterschiedliche und umfangreiche Anknüpfungspunkte. Ich bin besonders Djibril Thiam sehr dankbar, der sich immer Zeit genommen hat, um meine vielen Fragen zu beantworten und mir die jeweiligen Hintergründe zu erklären.

Warum hast du dich überhaupt darauf eingelassen?

Es war eine totale Überraschung, als Tobias Rusteberg mich kurz vor dem Semesterbeginn fragte, ob ich mir vorstellen könnte, diese Reise zu begleiten. Für mich war sofort klar, dass ich dabei sein würde! Die Projektgruppe kannte ich bereits vom ersten Teil der Begegnungsreise in Osterode und so habe mich sehr darauf gefreut, mit ihnen zusammen nun auch die Rückbegegnung zu erleben.

Was war dir wichtig beim Film?

Manche Eindrücke unserer Reise lassen sich wahrscheinlich am besten mit „disparat“ beschreiben. Und dann neigt man beim Erzählen schnell dazu, in Stereotype zu verfallen. Armut und Perspektivlosigkeit auf der einen Seite, Lebensfreude und verklärte Einfachheit auf der anderen. Natürlich haben wir beides auch wahrgenommen, ich denke aber, dass es gerade der Gewinn einer solchen Reise ist, den weiten Raum dazwischen kennenzulernen. Deswegen war es mir wichtig, dass dieser Film nicht in Anspruch nimmt, „den Senegal“ oder „die Gesellschaft“ abzubilden, sondern Ausschnitte zu zeigen und persönliche Geschichten zu erzählen. Die Schülerinnen und Schüler moderieren diesen Film aus ihren eigenen Erfahrungen heraus. Ich fand es besonders spannend und berührend, als die senegalesischen Corres erzählten, wie sie es erlebt haben, nach der Begegnung in Deutschland nach Hause zu kommen – deutsche Lieblingswörter inklusive.

Welche besonderen Schwerpunkte hast du gesetzt?

Der Film hat zwei große Schwerpunkte. Einen bilden unsere Partnerschulen, insbesondere weil der Kooperationsvertrag zwischen Lycée Valdiodio Ndiaye, der Grundschule Sam II und dem Cours Privé Mboutou Sow mit dem Tilman-Riemenschneider-Gymnasium neu unterzeichnet wurde.

Der andere Schwerpunkt ist natürlich das Thema unserer Begegnung! Der Film verläuft entlang unterschiedlicher Perspektiven auf Kunst. Im Programm des Festivals „Denkmalkunst – Kunstdenkmal“ (DKKD) in Osterode, an dem wir bei der ersten Begegnung teilgenommen haben, tauchte das Schlagwort „Kunst als Türöffner“ auf. Und tatsächlich war Kunst auch bei unserer Reise in den Senegal ein Zugang zu vielen Lebensbereichen:

Im Musée des civilisations noires in Dakar verbinden sich beispielsweise Kunst und Kulturgeschichte mit dem kulturellen Erbe und natürlich der Frage nach Leerstellen. Welche Artefakte eben nicht in einem Museum in Dakar ausgestellt sind, sondern in europäischen Magazinen liegen.

Es war dann ein Glücksfall im Programm, dass wir aus dem Museum kamen und direkt in unseren Bus gestiegen sind, um nach Kaolack zu fahren. Da konnte man gar nicht anders, als das Museum im Kontrast zum Leben entlang der Straßen zu sehen. Es kam schnell die berechtigte Frage auf, ob es denn nicht „andere Probleme“ gebe, die dringender zu lösen wären. Man muss dennoch erst einmal positiv anerkennen, dass mit diesem Museum Kunst ganz groß zum Thema gemacht wird, und zwar nicht erst dann, wenn alle anderen Probleme erledigt sind.

Im Künstlerdorf in Dakar ging es um das Kunsthandwerk, darum, wie ein Arbeitsalltag aussieht, um die Herstellungsbedingungen, die Herkunft der Materialien, wie mit den Produkten gehandelt wird. Wir fragten uns: Ist das typisch senegalesisch? Oder ist das eher etwas, was man in Europa „typisch afrikanisch“ findet?

Was nimmst du für dich mit?

Der Film erzählt eigentlich nicht über die Begegnungsreise, sondern aus ihr heraus. Wenn man abends zurück zur Unterkunft fährt, bleibt Kaolack nicht einfach draußen. Das war für mich auch während der Postproduktion so. Das wirkliche Ordnen und Reflektieren hat erst dabei eingesetzt. Wenn ich Fotos von der Reise gezeigt habe, kamen dazu oft Nachfragen, zum Beispiel, ob denn tatsächlich viele Leute im Senegal Handys hätten. Das sind Vorannahmen über kleine Aspekte des Alltags, die aber etwas darüber aussagen, wie wir einander gegenübertreten.

Was fühlst du, wenn du in diesen Zeiten diesen Film schneidest?

Wenn ich mir den Film jetzt ansehe, wirkt auf der einen Seite so vieles wie aus der Zeit gefallen. Man sieht uns umringt von Grundschulkindern, wir sind mit hunderten anderen zu Gast bei einem Festakt zur Einweihung eines neuen Schulflügels, spielen gemütlich Uno auf dem Dach des PASCH-Raums, alles ohne Maske zu tragen und Abstand einhalten zu müssen. Ich denke auch an unseren Besuch auf dem Markt. Das wäre nun nicht nur aufgrund der Pandemie unvorstellbar, sondern auch, weil es dort vor einigen Monaten einen verheerenden Brand gab. Ein Ort, an dem wir gewesen sind, den es zumindest so nun nicht mehr gibt.

Auf der anderen Seite sind einige Themen aus dem Film gerade jetzt wieder erschreckend aktuell geworden. Als uns an der Küste Dakars von der Flucht über den Atlantik erzählt wurde, waren diese Zahlen seit Jahren rückläufig. Nun aber können wir in den Nachrichten sehen, wie in diesem Jahr tausende Menschen in Booten die kanarischen Inseln erreichten, um so nach Spanien zu gelangen. Insofern könnte man auf die Idee kommen, dass der Film die Welt zeigt, als sie noch in Ordnung war. Aber das war eben nicht der Fall, auch da hatte das Bild schon Risse.

Was war dein persönlicher Moment?

Beim ersten Teil der Begegnungsreise in Osterode im August 2019 nannten mich die senegalesischen Schülerinnen und Schüler immer scherzhaft „Madame la photographe“. Als wir am ersten Tag in Kaolack bei Awa, einer Schülerin, zu Hause eingeladen waren und ihrer Familie vorgestellt wurden, sah ihre Mutter sofort die Kamera und begrüßte mich lachend mit „Ah Sophie, Madame la photographe!“ Wir haben uns mit den Eltern unterhalten, zusammen gegessen und Awa zeigte uns ihre Stadt. Ich war zuvor bei zwei Begegnungen in Deutschland dabei gewesen. An diesem Nachmittag in Kaolack habe ich langsam erst realisiert, welche Verbindungen das eigentlich geschaffen hat und was es bedeutet, jetzt dort sein zu können, wo unsere Corres zu Hause sind.

Warum sollte man am Freitag den 15. Januar einschalten?

Wir können an diesem Abend nicht zusammen auf eine Leinwand schauen. Trotzdem soll der Todestag von Elhadj Diouf auch in diesem Jahr Menschen zusammenbringen, die Teil dieses Projekts sind oder es noch werden wollen. Fast ein Jahr nach der Begegnung blicken wir zurück auf das Wiedersehen der Corres, die Projekte der EDF vor Ort und die gemeinsame Zeit in Kaolack. Das Motto „Türen, Tore, Öffnungen“ des ersten Teils der Begegnung ist hier fast schon metaphorisch zu verstehen, indem der Film durch das Thema Kunst ganz unterschiedliche Perspektiven auf die Begegnungsreise im Senegal eröffnet.

Zu sehen ist das Werk in der Zeit ab 19 Uhr bis etwa 20.30 Uhr im Livestream auf www.kunst-verbindet.com, ein Re-Live ist nicht möglich. Unter gleicher Adresse ist bereits schon jetzt ein Trailer zu sehen.

Lesen Sie dazu auch: Tilman-Riemenschneider-Gymnasium lädt zu virtuellem Filmabend ein

 

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