Panorama

24.12.2020

„Wir waren froh, dass wir uns und etwas zu essen hatten“


Elektrische Kerzen und kreativer Schmuck: ein Weihnachtsbaum im Jahr 2020

Ruth Ahfeldt berichtet über ihre Kindheit an Weihnachten in den Nachkriegsjahren/Viel gab es nicht, aber man war glücklich

von Herma Niemann

Stauffenburg. Wie sagt man so schön: „Früher war mehr Lametta“. Und das stimmt sogar. Dafür mussten die Menschen in früheren Zeiten – und nicht nur besonders zu Weihnachten – viel mehr entbehren, als sich die Kinder und Jugendlichen heute vorstellen können. Heute steht da ein üppig geschmückter Weihnachtsbaum in den aktuellen Modefarben, mit manchmal grell blinkenden Lichterketten und darunter haufenweise Geschenke, wie die neueste X-Box, das angesagte Computerspiel oder das teure Smartphone.

Wenn man ehrlich ist, sind Erwachsene und Kinder, was die Geschenkekultur unterm Weihnachtsbaum betrifft, heutzutage doch sehr verwöhnt. Und welche Mutter oder Vater kennt das nicht: die offensichtlich enttäuschten Gesichter der Kinder, wenn man trotz aller Mühe nicht das Richtige in Hochglanzpapier eingepackt hat.

Kinder und Eltern der Kriegs- und Nachkriegsjahre kennen keine enttäuschten Gesichter. Denn wie Ruth Ahfeldt aus Stauffenburg sagt: „Wir waren froh, dass wir uns und etwas zu essen hatten“. Ruth Ahfeldt kam im Jahr 1945 als Vertriebene aus Schlesien mit der Mutter, der Großmutter und ihren beiden Brüdern Helmut (Jahrgang 1938) und Peter (Jahrgang 1942) nach Stauffenburg. Der Vater galt als vermisst in russischer Vergangenheit und ist auch nie nach Hause gekommen.

Ruth ist im November 1936 im Kreis Neuenmarkt in Schlesien geboren und war zum Zeitpunkt der Vertreibung gerade neun Jahre alt. An ihr erstes Weihnachtsfest in der neuen Heimat hat die heute 84-Jährige eine noch sehr gute und auch schöne Erinnerung. Mit fünf Personen in einer Zwei-Zimmer-Wohnung sei man froh gewesen, ein Dach über dem Kopf zu haben. Viel Platz sei nicht vorhanden gewesen, und dennoch habe die Mutter eine kleine Tanne als Weihnachtsbaum besorgt.

„Bei uns in Schlesien kam das Christkind und der Weihnachtsbaum wurde Christbaum genannt“, so Ruth Ahfeldt. Als sie noch in Schlesien wohnten sei sogar einmal ihre Tante als Christkind verkleidet an Heilig Abend nach Hause gekommen. Zur Essens-Tradition in Schlesien gehörte auch die Weiße Bratwurst. Die Schlesische Bratwurst, auch Schlesische Weißwurst genannt, ist eine Bratwurst, die vor allem im Gebiet östlich der Oder/Neiße-Grenze im ehemalig deutschen Schlesien sehr beliebt ist. Die Schlesische Bratwurst gilt dort vor allem als traditionelles Weihnachtsessen und wurde nur in der Vorweihnachtszeit hergestellt. Auch heute ist die Schlesische Bratwurst noch in vielen Familien schlesischen Ursprungs das traditionelle Weihnachtsmahl.

Angekommen in Stauffenburg, habe Ruths Mutter, die gelernte Köchin war, aus wenigen Zutaten ein schmackhaftes Essen zaubern können. Oft habe es Bratkartoffeln gegeben, das sei nahrhaft und billig gewesen, oder es gab aus Schinkenresten Zusammengekochtes, Kartoffelsalat oder Würstchen. Nur zu Feiertagen sei mal etwas Besonderes wie Sauerkraut auf den Tisch gekommen.

Der einzige Baumschmuck, den die kleine Familie in Stauffenburg hatte, war Engelshaar, Zuckerkringel (gemeint sind Schokoringe mit Zuckerperlen, die gibt es heute noch) und ganz viel Lametta. Bereits in der Adventszeit sei man von Haus zu Haus gegangen, um bei den Nachbarn Kerzenreste zu sammeln. Aus diesen Resten habe man neue Kerzen mit einem Wolldocht gemacht, als Kerzen-Form dienten die Röhrchen der Spalt-Schmerztabletten. Da das Wachs aus unterschiedlich farbigen Kerzen stammte, habe man so am Christbaum immer bunte Kerzen gehabt, die aber leider nicht lange gebrannt hätten. Zudem wurden schon im Herbst reichlich Bucheckern gesammelt. Das Innere wurde herausgepult und zum Kuchenbacken verwendet.

„Wir Kinder haben am Weihnachtsabend am Fußboden gesessen und alle haben Weihnachtslieder gesungen, wir waren zufrieden“, betont Ruth Ahfeldt. Geschenke gab es nicht. Keine Puppe für Ruth, keine Autos für die Brüder. In späteren Jahren hätte es zumindest mit Keksen oder Marzipankartoffeln gefüllte Weihnachts-Pappteller gegeben. Vermisst habe man dennoch nichts. „Es sind schöne Erinnerungen an früher, auch wenn damals niemand viel hatte“. Erinnern kann sich Ruth Ahfeldt auch daran, dass sie und ihre Brüder anfangs nur Gummistiefel für die Wintermonate hatten. „Damals waren die Winter noch sehr kalt und mit viel Schnee“. Noch heute würde sie sich mit ihren Brüdern von der Zeit erzählen, als sie das erste Paar Schuhe hatte und die Brüder immer noch in Gummistiefeln herumliefen. „Heute können wir darüber lachen und schmunzeln“.

Ruth Ahfeldt hat zwei Söhne, drei Enkelkinder und eine Urenkelin. Auch wenn dieses Weihnachten unter der Corona-Krise anders sei, versuche man doch das Beste daraus zu machen, sagt sie. Heute hat sie mit Batterien betriebene Kerzen am Baum, aber auch immer noch einige Wachskerzen. Das Farbrepertoire ihrer Weihnachtsbaumdekoration wechselt von Jahr zu Jahr über Rot/Gold, nur Rot oder nur Gold. In diesem Jahr ist Rot/Gold an der Reihe. Das „schwere“ Stanniol-Lametta von früher habe Ruth Ahfeldt auch noch in ihrem Schrank, hängt es aber nicht mehr auf.

Aber, damals wie auch heute ist dennoch in allen Familien an Weihnachten wichtig: das Zusammensein und die besinnliche Zeit genießen.

Die folgenden Bilder können Sie vergrößern, wenn Sie ein Eseltreiber-Abo haben:


v.l.: Ruth Ahfeldt mit ihren Brüdern Peter und Helmut im Jahr 1946

Weihnachtszeit in den 1960er Jahren: Ruths Sohn Harald und Tante Anna vor dem Weihnachtsbaum.

 

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