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18.10.2020

Angeltour


von Johannes Nordmann

Auf meiner Reise durch Nordamerika kam ich nach ca. 14 Tagen in den Rocky Mountains an. Hatte viel gesehen und erlebt, manches Abenteuer - wenn auch ungefährdet - überstanden. Ich beschloss, einen Tag Pause einzulegen. Aber so ganz untätig wollte ich dabei auch nicht sein.

"Wie wär's mit Angeln" sagte ich mir. Ich holte mir Informationen in einem Touristenbüro eines kleinen Städtchens am Fuße eines grandiosen Bergmassivs. Und ich hatte Glück. Ungefähr 200 Meter unterhalb der Baumgrenze sollte es einen fischreichen Bergsee geben, etwa drei Stunden Fußmarsch entfernt. Auch eine Hütte zum Übernachten gab es in der Nähe.

Guter Laune packte ich meinen Rucksack mit dem Nötigsten zusammen und machte mich auf den Weg, der sich später in einen Pfad verwandelte. Ich beobachtete das Wetter. Seltsam, es war diesig, obwohl doch ein starker Wind wehte. Ich konnte die Sonne glasklar erkennen. Na ja, andere Kontinente, anderes Klima.

Mit diesem beruhigenden Gedanken ging ich weiter. Doch mir fiel auf, dass auch die gewohnten Laute der Tiere im Wald nicht so intensiv waren wie an den bisherigen Tagen. Hatte ich Angst? Ich fing an, laut zu pfeifen und zu singen. Das sollte die Bären verjagen. Denn sie greifen nur an, wenn sie überrascht werden. Außerdem erschien es mir gut gegen das beklemmende Gefühl zu sein, welches mich plötzlich beschlich, als ich am Wegesende den Trampelpfad erreichte.

Der Himmel hatte sich nicht verändert, aber der Wind war nicht mehr zu spüren, als ich mein Singen und Pfeifen unterbrach. Drei Stunden waren längst vergangen, aber ich konnte den See immer noch nicht ausmachen. Dann plötzlich, stand ich vor der Hütte. Merkwürdig, erst sollte doch der See und dann erst die Hütte kommen? Ich holte Karte und Kompass hervor und versuchte den See ausfindig zu machen. Auf einmal war es ganz einfach, ihn zu finden. Hier nahe der Baumgrenze konnte ich mich auch besser orientieren. Aber ich bin doch richtig gegangen?

Mein Spürsinn sagte es mir ganz deutlich. Was war bloß los? Der See lag so glatt wie ein Spiegel unterhalb eines Schneefeldes vor mir. Ich konnte die Fische im Wasser sehen.

Behutsam machte ich die Angelrute klar. Der erste Wurf klappte gut. Aber die Fische rührten sich nicht einmal. Klar, im Sommer sind sie übersättigt, aber diese hier hingen wie halbtot im Wasser. Mehrere Stunden fischte ich um den See herum. Nichts. Aber von den Fischen immer das gleiche Bild. Zuletzt bemerkte ich, dass die Sonne unterging. Auch das noch. Also zurück zur Hütte.

Enttäuscht und hungrig suchte ich die Hütte, fand sie endlich, doch war es dieselbe? War dieser murmelnde Bach heute Mittag auch schon da?

"Mann, was ist heute bloß los mit dir?" fragte ich mich wütend. In der Hütte war es ganz angenehm. Ich holte Holz, entfachte ein Feuer im Ofen und bereitete mir eine Mahlzeit zu. Höhenluft macht hungrig und müde, lächelte ich, als ich mich vollgeschlagen auf die Pritsche legte.

Ich stand jedoch noch einmal auf, um die Fenster zu öffnen, es war aber nicht möglich. Da es inzwischen dunkel geworden war und der Mond sich noch nicht zeigte, untersuchte ich mit den vorhandenen Kerzen die Fenster von außen. Nichts zu machen. Totenstille hier oben, nur der Bach murmelte leise.

Mir war unheimlich zumute. In geschlossenen Räumen kann ich nicht schlafen, also musste die Tür einen Spalt offen bleiben. Obwohl ich nicht glaubte, dass sich hier im lichten Baumgrenzgebiet Bären aufhielten, verhielt ich mich vorsichtig und sicherte die Tür mit einer Kette. Sonderbarerweise gab es auch keine Mücken, so dass mir Moskitoschutz nicht notwendig erschien. Aber mein Messer legte ich trotzdem in Reichweite. Der murmelnde Bach ließ mich trotz dieser Merkwürdigkeiten einschlafen.....

Plötzlich konnte ich das Murmeln des Baches nicht mehr hören, nein, ich vernahm Stimmen. Erst weit entfernt, dann kamen sie näher, doch wenn ich mich bemühte, sie zu verstehen, wurden sie wieder leise. Mit einem Mal stampfende Schritte um die Hütte herum. Waren dort nicht zwei Augen am Fenster? Dann war es wieder still.

Ein Wimmern wie von einem verletzten Menschen drang aus der Nähe zu mir. Versuchte ich genau herauszufinden, woher es kam, verstummte es. Ich legte voller Angst mein Messer zur Seite und beide Hände an die Ohren, um besser hören zu können.

Ein gellender Todesschrei hallte durch die Nacht. Ich konnte nicht mehr, ich ziterte. "Jetzt ist es wohl aus!" dachte ich. Der Mond erhellte den Türspalt. Hätte ich doch die Tür geschlossen! Mein angstvoller Blick ging zum Fenster. Da, wieder! Glühende Augen aus einem undefinierbaren Rund sahen mir entgegen.

Ich schlug die Decke vor mein Gesicht und hielt mir die Ohren zu. Als ich nichts mehr wahrnahm, wurde ich etwas ruhiger und sagte mir: " Wehre dich!" Vorsichtig nahm ich das Messer und sah wieder zur Tür. Huschten dort nicht schemenhafte Gestalten herum? Mein Haar sträubte sich. Am Fenster zeigte sich ein grauenhaft verzerrtes Gesicht, weder Mensch noch Tier. Ich wurde fast wahnsinnig vor Angst. Dann verschwand es.

Ich hörte wieder dieses Getrampel und Stimmen. "Das ist doch alles nicht wahr!" sagte ich mir und mit verschlossenen Augen. Plötzlich eintretende Stille ließ sie mich angstvoll wieder öffnen.

Der Mond leuchtete in eine Ecke der Hütte. Oh Gott! Eine dunkle, riesige Masse mit glühenden Augen lauerte dort. "Jetzt ist es endgültig aus!" Ich zitterte, hatte eine trockene Kehle, mein Herz schlug wie wahnsinnig, doch mein Messer ließ ich nicht los, obwohl ich ahnte, dass es mir nichts nützen würde, das spürte ich genau.

Mit zwei langen Sätzen war das riesige Ungeheuer an der Pritsche, bleckte seine furchterregenden Zähne und setzte zum Todessprung an.

Da krachte ein Schuss!

Ich erwachte - eine Windböe hatte die Tür zugeschlagen.

 

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