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10.07.2020

„In unserem SYSTEM sind alle RELEVANT“


Der Stand des Bündnisses Inklusives Göttingen

... Bündnis Inklusives Göttingen

Mit einem Infostand in der Göttinger Innenstadt hat das Bündnis „Inklusives Göttingen“ am vergangenen Dienstag, dem 07.07. für die Inklusion geworben und Mund-Nasen-Schutz-Masken mit der Aufschrift „in unserem SYSTEM sind alle RELEVANT“ verteilt. Hier traf man sich auch, um eine erste Bilanz zur Situation von Menschen mit Behinderung in Zeiten von Corona zu treffen.

Dass der Lockdown der vergangenen Monate besonders für Menschen mit Behinderung große Belastungen brachte, ist kein Geheimnis, so Erik Kleinfeldt vom Verein Selbsthilfe Körperbehinderter Göttingen. Therapieangebote, Selbsthilfegruppen, Werkstätten und andere soziale und tagesstrukturierende Angebote seien vielfach ersatzlos weggefallen.

Besonders hart habe es die Bewohner von Wohnheimen getroffen, weiß Claudia Grosse zu berichten. Die 42jährige Rollstuhlfahrerin lebt aktuell in einem Pflegeheim. Seit Mitte März habe sie nur in ihrem Zimmer und auf dem Balkon bleiben dürfen, das Essen habe man ihr aufs Zimmer gebracht. „Es kam keiner und hat mir die Fußnägel gemacht, meine Haare waren total lang, in der Zeit lief gar nichts. Ich habe viel im Bett gelegen, viel gelesen, viel ferngesehen, viel Radio gehört, viel im Balkon und im Garten gewesen. Mehr gegammelt als alles andere..“. Sie habe sich an ihre Kindheit in den 80er Jahren erinnert gefühlt, als Menschen mit Behinderung oft wenig Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe hatten und oft einen Großteil ihrer Zeit zuhause verbringen mussten. Zwar dürfe sie seit 14 Tagen das Haus wieder verlassen. „Die Werkstätten sind aber noch nicht wieder voll geöffnet. Es ist noch für mich zu, weil ich halt in einem Heim wohne und es gibt Leute, die können arbeiten, aber die müssen selbständig sein, also selbständig wohnen. Eventuell kann ich in sechs Wochen wiederkommen, hab ich gehört gestern in der Presse, aber ob das nun Fakt ist, weiß ich nicht.“ Emotional sie es ihr nicht gut gegangen, der Stress äußere sich unter anderem in einem nervösen Nervenleiden, das deutlich stärker ausgeprägt sei als vor der Coronakrise.

„Die Situation hat sich in Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung vielerorts so dargestellt“, weiß Erik Kleinfeldt von der Selbsthilfe Körperbehinderter zu berichten. Teilweise hätten die Menschen über Wochen ihre Zimmer nicht verlassen können. In manchen Einrichtungen habe man versucht, die Belastungen der Bewohner durch tagesstrukturierende Angebote zu mindern. Dafür sei auch Personal aus den vorübergehend voll geschlossenen Werkstätten in den Wohnheimen eingesetzt worden. „Insgesamt schuf Corona hier eine Ausnahmesituation, die viel Kraft und Engagement benötigt habe. Wo dieses Engagement ausblieb, hat man die Menschen teilweise aber eben auch faktisch weggeschlossen. Ein bemerkenswerter Zustand, für den man eigentlich einen richterlichen Beschluss braucht.“ Immerhin habe man so ein Übergreifen der Epidemie auf Wohnheime der Behindertenhilfe weitgehend verhindern können, so Kleinfeldt.

Es bleibe zu hoffen, dass man für eine mögliche zweite Corona-Welle nun bessere Konzepte in der Schublade hat. Eine minimale Teilhabe von Menschen mit Behinderung sollte auch im Falle eines weiteren Lockdowns gewährleistet sein, gibt der Sprecher des Bündnisses Inklusives Göttingen zu bedenken.

Hinweis: das Bündnis hat in den vergangenen Monaten eine Reihe von Hilfsangeboten (Alltags- und Einkaufshilfen, Hilfe-Hotlines, Pflegetipps für Mund-Nasen-Schutz etc. zusammengestellt. Diese findet man unter www.inklusives-goettingen.de


Claudia Grosse, Heimbewohnerin, fühlte sich in den letzten Wochen praktisch eingesperrt

Die bedruckten Masken des Bündnisses

 

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