Kultur / Rezensionen

20.04.2020

Eine kleine Reise ins Zauberland


Amir Yarahi (Kurono) – Otaku Stories

von Christian Dolle

Otaku, das sind im Japanischen Nerds, Geeks, also begeisterte Fans, im engeren Sinne von Mangas und Anime und japanischer Popkultur. Gerade hier bei uns bezeichnet Otaku oft diejenigen, die nicht nur Manga lesen und Animes schauen, sondern sich dazu auch dem Cosplay verschrieben haben und die sich mehr mit Light Yagami und Pikachu umgeben als mit Menschen, die diese Figuren nicht kennen.

In seinem Buch „Otaku Stories“ schreibt Amir Yarahi, wie er zum Otaku wurde und was es für ihn bedeutet. In der Szene und auch hier auf Youtube ist Amir kein Unbekannter, denn als Korono betreibt er einen sehr erfolgreichen Kanal, auf dem er alle Facetten seines Fanseins auslebt. Zum ersten Mal wahrgenommen habe ich Kurono ehrlich gesagt aber gar nicht als Otaku, sondern als er zusammen mit Jarow in einem Lost Place unterwegs war, in einer ehemaligen Irrenanstalt.

Um es kurz zu machen, ich mag zwar Animes wie „Ghost in the shell“ und liebe Manga wie „Uzumaki“, bin aber weit davon entfernt ein Otaku zu sein. Dennoch finde ich es schön, wenn jemand wirklich mit ganzem Herzen Fan sein kann, so dass ich mir Amirs Erstlingswerk mal zu Gemüte führte.

Bunte Fantasiewelten

Zunächst mal muss ich sagen: der Typ ist wirklich irre, er lebt in einer Welt zwischen Realität und Fantasie, glaubt man dem Buch, bewegt er sich gedanklich den größten Teil des Tages in absurden Fantasiewelten, irgendwo zwischen Chihiros Zauberland und einem Japan der bunten Lichter und abgefahrensten Figuren, die überhaupt denkbar sind. Im Buch versucht er, seine Faszination dafür zu erklären, was aber vermutlich dennoch nur diejenigen nachvollziehen können, die mindestens einmal nach einem Studio Ghibli Film in Tränen ausgebrochen sind.

Nebenbei beschreibt Kurono die Szene als eine Art große Familie, zu der man entweder dazugehört oder eben nicht. So schildert er Erlebnisse mit Fans seines Kanals, die ihm sehr zu Herzen gingen und denen er Herzenswünsche erfüllen konnte. Diese Szenen drohen zwar manchmal etwas kitschig zu geraten, wirken aber authentisch und zeigen recht interessant, wie ein großer Youtuber seine Reichweite für etwas Gutes nutzen kann.

Unvorhersehbare Erzählweise

Ebenso beschreibt er aber auch Ablehnung, die er erfahren hat, vom Ausgelachtwerden bis hin zum Mut, sich zu outen, dass man als Erwachsener noch „diese japanischen Comics“ guckt. Das erinnert mich oft an die Zeit als ich noch viel mehr Bollywoodfilme guckte und ja auch für ein großes deutsches Bollywoodmagazin geschrieben habe. Auch das war damals eine Szene, die von vielen bestenfalls milde belächelt wurde, und gerade als Mann musstest du immer wieder erklären, warum du dir Filme ansiehst, in denen die Darsteller aus heiterem Himmel zu singen anfangen.

Doch auch die opulente und farbenprächtige Bollywoodwelt hat mich damals begeistert und begeistert mich bis heute, weil sie eben so viel mehr ist, weil es Filme aller Art gibt und diese einfach ein wenig anders und unvorhersehbarer erzählt werden als westliche Filme. Ebenso verhält es sich ja auch mit Manga und Anime, die japanische Erzählweise ist für uns einfach ungewohnt und ist daher oft viel überraschender als mancher Einheitsbrei, bei dem wir einfach von unserer kulturellen Prägung her schon von Anfang an ahnen wie es sich entwickelt und schließlich ausgeht.

Auf diese tieferliegenden Erklärungsversuche oder gar eine Genreanalyse geht Kurono in seinem Buch selbstverständlich nicht ein, deutet es bestenfalls an. Seine sehr kurzen Geschichten sind persönliche Erlebnisse, kleine Flashlights aus einer Welt, die vielen bestimmt völlig fremd ist. Das ist durchaus etwas, was ich auch erlebe, denn wenn ich im Freundeskreis erzähle, dass ich Manga lese, habe ich auf der einen Seite den grundsätzlich aufgeschlossenen und modernen Literaturwissenschaftler, der kategorisch sagt: „Nee, sowas würde ich nie lesen!“ und auf der anderen Seite den bodenständigen Bauarbeiter, der dich plötzlich damit überrascht, dass er erklärt: „Ja, 'Death Note' mag ich auch, weil es so vielschichtig und so voller Moral und interessanter Überlegungen ist.“

Die Kraft der Fantasie

Doch zurück zu Amirs Buch. Ich möchte jetzt mal die Zeichnungen außen vor lassen, die vermutlich für sein eher jüngeres Zielpublikum den Text auflockern sollen, die ich aber einfach nur schrecklich und unnötig finde. Unnötig auch deshalb, weil Amir es geschafft hat, mich wirklich zu fesseln und das Buch innerhalb weniger Stunden durchzulesen. Er schreibt nämlich so, wie er auch in seinen Videos redet, ein bisschen überdreht, frei von der Leber weg und in erfrischendem Plauderton.

Vor allem aber schafft er es für meinen Geschmack, an vielen Stellen wirklich witzig zu sein, und dazu – und das ist ja leider wirklich selten – auch noch selbstironisch. Dieser Typ geht zum Teil wirklich schonungslos mit sich selbst um, weiß, dass er ein Freak ist und kann offenbar aus vollem Herzen über sich selber lachen. Da konnte ich dann oft mit einstimmen, denn das sind für mich die stärksten Szenen im Buch. Und vielleicht ist dieses Die-Welt-und-sich-nicht-zu-ernst-Nehmen auch genau das, was wir von Manga und Anime lernen können. Das und natürlich die Erkenntnis, dass diese Welt ohne die Kraft der menschlichen Fantasie eine sehr triste wäre.

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