Kultur / Federkiel

20.03.2020

Böses Bärchen


Mit wem spricht schon ein Känguru?

von Christian Dolle

Bei euch auf der Arbeit gibt es gerade nichts zu tun? Ihr dürft nicht zur Schule gehen? Ihr könnt die Berichte über *ihr wisst schon was* nicht mehr hören? Dann haben wir vielleicht genau das Richtige für euch. Ablenkung. Etwas zum Lachen zwischendurch. Eine brandneue Geschichte vom Bösen Bärchen.

Die gibt es wahlweise zum Hören oder zum Lesen. Also viel Spaß damit und bleibt gesund.

 

„Drei Cola, eine große Tüte Popcorn und drei Karten für 'Die Känguru-Chroniken' bitte.“ Seit Wochen hatte ich mich auf den Film gefreut, Olli und Andi auch und so standen wir jetzt endlich voller Erwartung an der Kinokasse. Die Angestellte erwiderte unser Lächeln zwar, deutete dann aber nach links und fragte: „Und was ist mit ihm? Er braucht auch eine Karte.“

Tatsächlich stand er plötzlich auf dem Tresen, die Pfote in unserem Popcorn, schmatzend und grinsend. Ich hatte keine Ahnung, wie er plötzlich hierher kam, also er musste sich ja ins Auto und dann vom Parkplatz mit uns ins Kino geschlichen haben, alles, ohne dass wir etwas davon mitbekommen hatten. „Was gucken wir eigentlich?“, fragte er jetzt und griff schon wieder nach dem Popcorn.
Olli war schneller als ich und antwortete trocken: „'Die Känguru-Chroniken'. Es geht um einen erfolglosen Kleinkünstler, bei dem plötzlich ein Känguru einzieht und sein Leben gehörig auf den Kopf stellt.“ Olli erzählte das alles als sei völlig selbstverständlich, dass er plötzlich dabei war, während ich zähneknirschend seine Kinokarte zahlte. Er allerdings legte die Stirn in Falten und fragte nach: „Ein Känguru? Ich dachte immer, die leben in Australien.“

Jetzt war es Andi, der ihm antwortete. „Ja, es ist ein kommunistisches Känguru. Und es kann sprechen.“ er verschluckte sich beinahe am Popcorn, schüttelte den Kopf und kommentierte dann: „Ein Känguru, das in einer fremden Wohnung lebt und sprechen kann? Wie unrealistisch ist das denn? Können wir uns nicht lieber einen Superheldenfilm ansehen?“

Zum Glück wollten wir das nicht. Dafür aber mussten wir unbedingt in der ersten Reihe sitzen, da er ja sonst nichts sehen könnte und dafür, so machte er uns weis, könnten wir eine kleine Genickstarre ja wohl in Kauf nehmen. „Ich würde lieber mit zehn kommunistischen Kängurus in einer Wohnung leben als noch einmal mit dir ins Kino zu gehen“, grummelte ich vor mich hin.

Der Film begann, das Känguru klingelte beim Kleinkünstler an der Tür, erklärte, es wolle Eierkuchen machen, hätte aber vergessen, Eier zu kaufen, wenig später schleppte es seine Umzugskartons in die Wohnung. „Hey, das sieht ja fast so schlimm aus wie bei dir“, kommentierte er ob der chaotischen Berliner Altbauwohnung. „Glaub mir, es sieht anders bei mir aus, wenn du mal nicht da bist.“

Ansonsten aber gab es schon ein paar Parallelen, vor allem zur Figurenkonstellation des Films. Und auch zu den Streitgesprächen. Ihm fiel das offenbar nicht auf. „Das Känguru ist aber nicht gerade der Mitbewohner, den man sich wünscht“, meinte er kopfschüttelnd, „Warum lässt er es denn bei sich wohnen?“ „Ja, die Frage stelle ich mir auch. Jeden Tag wieder.“ Die Zweideutigkeit der Aussage fiel ihm natürlich nicht auf, wahrscheinlich, weil ihm auch gar keine Zeit dafür blieb, denn er hatte sich jetzt am Popcorn verschluckt, das er unablässig in sich hineinstopfte.

Mit der einen Hand nahm ich ihn hoch, mit der anderen klopfte ich ihm auf den Rücken, er hingegen nutzte seine Tatzen währenddessen, um Andi auf die Finger zu klopfen, der sich am Popcorn vergreifen wollte. „Kannst du mir mal was zu trinken holen, mir klebt noch was am Gaumen?“, forderte er als er wieder Luft bekam. „Kannst du nicht selber gehen?“, gab ich lustlos zurück.

Er warf mir einen Blick zu als hätte ich verlangt, er solle sich einer Horde mit Baseballschlägern bewaffneten Neonazis in den Weg stellen. „Ich? Ich bin doch viel zu klein und komm nicht bis an den Tresen.“ „Du bist vorhin auch bis auf den Tresen gekommen“, raunte ich ihm wütend zu, „und du bist sogar in mein Auto und bis hierher ins Kino gekommen!“ „Pssst!“, kam es jetzt von hinten, so dass ich mich geschlagen gab und ihm sein Getränk holte. Dabei brachte ich für Olli, Andi und mich gleich noch mal eine eigene Tüte Popcorn mit.

Den Rest des Films überlebten wir einigermaßen schadlos, zumindest nachdem wir ihm sozusagen als Bestechung erst mein, dann Andis, dann Ollis Popcorn aushändigten. Dadurch hatten wir den Film aber immerhin doch noch genießen können und redeten auf der Rückfahrt über die besten Szenen. „Also ich finde es immer noch unlogisch“, mischte er sich ein, „Ein Känguru, das sprechen kann, und dann auch noch als Mitbewohner. Wer kommt denn auf so eine blöde Idee?“

Was sollte ich dazu noch sagen? „Erinnerst du dich noch an das Buch 'Mein Freund Anselm', das ich dir früher immer vorgelesen habe?“ Er schüttelte den Kopf. „Da lebt der Ich-Erzähler mit einem sprechenden Ameisenbären zusammen. Und der hat sogar einen Magister in Philosophie.“ Er gab verächtliche Laute von sich, dann erklärte er kategorisch: „Ameisenbären können auch nicht sprechen, das ist genauso unlogisch. Aber der ist wenigstens kein Kommunist.“

Was das nun wieder bedeuten sollte, wusste ich auch nicht. Allerdings verspürte ich auch keine Lust, ihn danach zu fragen. Dafür brannte ihm noch eine Frage auf den Nägeln und er wollte wissen: „Was ist das eigentlich? Also Kommunismus und Kapitalismus?“ Diesmal war es Andi, der ihm die Grundzüge beider Systeme detailliert erklärte und das sogar recht gut. Nach zwei Minuten sagte mir sein Gesichtsausdruck jedoch, dass er ihm schon längst nicht mehr zuhörte.

Stattdessen sah er nun mich fragend an. „Okay, stell dir vor, wir sind im Kino, du kaufst dir Popcorn, musst es aber gerecht mit uns dreien teilen. Das ist Kommunismus.“ Andis entsetztem Gesichtsausdruck zum Trotz fuhr ich fort: „Und dann stell dir vor, du kaufst dir Popcorn, aber ich fordere den größten Anteil davon, weil du ohne mein Auto nicht wieder nach Hause kommst. Das ist Kapitalismus.“

Während meine Freunde mir kritische Blicke zuwarfen, gab er sich mit der Erklärung vollkommen zufrieden. Eine Weile jedenfalls. Dann jedoch forderte er mich auf, das Fenster herunterzukurbeln. „Ich glaub, ich muss mich übergeben. Hab wohl zu viel Popcorn gegessen. Das war jedenfalls kein Ismus.“ Im letzten Moment hielt Olli ihm die leere Popcorntüte unter die Schnauze, während ich nur grummelnd feststellte: „Doch, das war wieder mal Egoismus.“

PS: Wir danken der Kinowelt Herzberg, dass das Böse Bärchen fürs Fotoshooting auch ohne Eintrittskarte in den Saal durfte.

 

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