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27.01.2020

Heute: Social Media - Früher: Tie


Der Versammlungsplatz im Osteroder Ortsteil Freiheit: ein erhöhter Brink.

Der ehemalige Kreisheimatpfleger Klaus Gehmlich referierte im Ritterhaus über die früheren Versammlungsplätze in Dörfern/Merkmale heute noch erkennbar

von Herma Niemann

„Alle Dörfer hatten einen Versammlungsplatz, aber nicht alle hatten einen Tie“. Mit diesen Worten eröffnete Klaus Gehmlich, ehemaliger ehrenamtlicher Kreisheimatpfleger des Altkreises Osterode, seinen Vortrag beim Heimat- und Geschichtsverein Osterode. Der Vortrag „Es muss nicht immer Tie sein“ fand im Museum im Ritterhaus statt.

Diese Erkenntnis habe Gehmlich aus Studien verschiedener Fachliteratur, unter anderem aus dem Buch von Rolf Wilhelm Brednich „Anger und Tie“. Dennoch habe jedes Dorf einen Versammlungsplatz gehabt. Diese Plätze würden nahezu die identischen Merkmale aufweisen. Rund 1300 Dörfer von Hann. Münden bis Hannover und von Helmstedt bis Rinteln habe er deshalb unter die Lupe genommen. Die wichtigsten Merkmale der dörflichen Versammlungsplätze wie Tie und Anger sind, dass sie immer Plätze im Gemeindebesitz waren.

In der Regel befanden sie sich in im historischen Mittelpunkt an prägnanten Plätzen der früheren Siedlungen. Selten waren sie weit entfernt von den Kirchen. Diese Versammlungsplätze waren rund oder oval angelegt, dazu kommt, dass der gewählte Ort durch Aufschüttungen erhöht angelegt wurde. Als Hügel hoben sie sich also deutlich von ihrer Umgebung ab. Diese Plätze waren in der Regel umfriedet, das heißt, dass sie entweder von einer Steinmauer oder von einer Hecke umsäumt waren. Dies sollte den „Frieden“ der Stätte versinnbildlichen. Denn auf diesen Plätzen wurde auch Gericht gesprochen. Nicht über Leib und Leben, aber für niedere Verstöße. Einige verfügten auch über einen Pranger.

An einigen Tie-Plätzen lassen sich sogar noch Steine, die ringsum verlegt wurden, sehen. Diese waren für Schöffen bestimmt, die schon damals mit Gericht hielten. Das Wort Schöffen komme von dem Wort „schaffen“, so Gehmlich. Viele der typischen Merkmale ließen sich im Altkreis Osterode finden, auch wenn die Ties oder die Versammlungsplätze heute nicht mehr als solche offensichtlich zu erkennen seien.

In Rund 25 der Altkreise habe er 350 Mal einen Tie vorgefunden. „Tie“ bedeutet Hof oder Platz. Die meisten Dörfer hatten zusätzlich zu dem inneren auch einen äußeren Tie, auf dem der Bürgermeister oder Bauermeister die Versammlung leitete. Auch wenn die Tie-Steine mit ihren darunter befindlichen kleinen Stützen an einen Tisch erinnern würden, sei dies ein Fehlschluss. Auch die Pfähle vor und hinter dem Tie würden keine kleinen Bänke sein. Diese fungierten als Stufen, damit die Bürgermeister besser auf den Tie gelangten. In der Nähe eines Ties habe sich früher immer ein öffentliches Gebäude, meist ein Wirtshaus oder eine Schule, befunden. Auch habe auf dem Platz meistens eine Linde oder eine Buche gestanden, ein Gewässer sei oft in der Nähe zum Waschen oder Bleichen gewesen.

Weiteres wichtiges Merkmal sei jedoch eine zentrale Stelle, durch die wichtige Wegeverbindungen führten. Im 18. und 19. Jahrhundert wurden die Ties vielerorts an die Ränder verlegt. „Es ist erstaunlich, dass auch heute noch Dorfgemeinschaften ganz instinktiv und teilweise ohne Kenntnis, an den früheren Stellen eines Ties oder Versammlungsplatzes, Dinge von zentraler Bedeutung, wie zum Beispiel in Hörden einen künstlichen Brunnen, aufstellen“, so Gehmlich.

So sind in den Jahren an diesen Plätzen oft Gedenksteine aus der jüngeren Vergangenheit hinzugekommen. „Auch wenn vielleicht einige Heimatchronisten oder Wissenschaftler dies als Entweihung sehen, bekommen die Ties so noch heute die Gelegenheit, besucht zu werden“.

Gehmlich zeigte auch viele Beispiele im Altkreis Osterode auf. Unter anderem in der Samtgemeinde Hattorf. Dort hatten die Gemeinden Elbingerode, Hattorf, Hörden und Wulften einen Tie. Auch hier die typischen Merkmale: ein Dorfplatz, eine Linde, ein Gewässer in der Nähe und wichtige alte Wegeverbindungen. Auffällig sei in der heutigen Zeit, dass Bushaltestellen dort, wo sich früher ein Versammlungsplatz befand, eingerichtet wurden.

Im Übrigen könne ein solcher wichtiger Versammlungsplatz auch Anger, Plan oder Brink heißen. Wie etwa im Osteroder Ortsteil Freiheit. Der frühere Dorfplatz liegt erhöht und parallel zur Straße, in der unmittelbaren Nähe befindet sich eine Bushaltestelle und die Statue des Esels. Im Kern der Stadt habe sich ein Versammlungsplatz an der Jacobi Kirche befunden. Dort bestand das Marktrecht seit 1238. Ein anderer Platz ist der heutige Marktplatz.

„Gittelde ...jetzt wird es kompliziert“, so Gehmlich schmunzelnd. Dort seien im Grunde drei Dorfplätze gewesen. Einer war am Anger, dem heutigen Sportplatz, auf dem vor rund 150 Jahren, anlässlich des Endes des Deutsch-Französischen Krieges, die legendäre Gittelder Friedenseiche gepflanzt wurde. Dies geschah in der Hoffnung auf ewigen Frieden und Einigkeit. Am 10. Juni 1949, wurde diese Friedenseiche von fünf fußballbegeisterten Gitteldern angesägt, und musste anschließend gefällt werden.

Der Anger befand sich an der früheren Thüringer Heerstraße und war auch der Festplatz und der Wäschebleiche-Platz, weil in der direkten Nähe die Markau fließt. Auch die „Planstraße“ zwischen der Grundschule und der Sparkasse, dort, wo das Ehrenmal steht, war ein Versammlungsplatz. Daneben wieder ein Gasthaus. „Das ist der klassische Dorfplatz“. Ein dritter war in der Nähe der St. Mauritius Kirche. Seit Ende des 10. Jahrhunderts bestand dort das Recht für Händler Waren anzubieten und zu verzollen. An dieser Stelle soll auch ein Pranger gewesen sein. Hingegen der landläufigen Vorstellung, befand sich der Markt nicht auf einem großen Platz, sondern führte entlang der Straße.


Der ehemalige Kreisheimatpfleger Klaus Gehmlich bei seinem Vortrag im Ritterhaus in Osterode.

Die folgenden Bilder können Sie vergrößern, wenn Sie ein Eseltreiber-Abo haben:



Gittelde hatte drei Versammlungsplätze. Hier der ehemalige Dorfplatz „Planstraße“ neben der Grundschule. Am Ehrenmal wird auch jedes Jahr der Weihnachtsbaum aufgestellt.

Ein anderer Versammlungsplatz war in der „Langen Straßen“.

Und ein dritter war am Anger, dem heutigen Sportplatz

 

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