Kultur / Rezensionen

13.12.2019

Der misanthropische weiße Wolf


Andrzej Sapkowski – Der letzte Wunsch

von Christian Dolle

Geralt von Riva ist ja vor allem Gamern ein Begriff. Immerhin gilt The Witcher III vielen als eines der grafisch schönsten und atmosphärisch dichtesten Spiele überhaupt. Und wenn in ein paar Tagen die Witcher-Serie auf Netflix startet, wird die Saga wohl noch einmal ein paar neue Fans hinzugewinnen. Doch auch als literarische Figur in den Büchern von Andrzej Sapkowski hebt sich der Hexer positiv von vielen anderen ab.

Er streift durch eine üppige Fantasywelt und nimmt es mit verschiedensten Ungeheuern auf, doch tut er das nicht etwa aus pathetischen Motiven wie so viele andere Helden, sondern schlicht, weil er sich dafür bezahlen lässt.

Geralt ist pragmatisch, nicht selten zynisch und im Grunde ein Misanthrop. Natürlich hat er Prinzipien, denen er treu ist, jedoch ist er nicht der typische strahlende Held, der für ein höheres Ziel kämpft oder selbstlos für andere sein Leben riskiert. Den Beinamen „Weißer Wolf“ trägt er zurecht, denn als einsamer Wolf streift er durch die Welt, wird von den Menschen gefürchtet, aber als Hexer eben auch immer wieder beauftragt, es mit den Monstern aufzunehmen, die sie bedrohen.

Beginn der Witcher-Saga

„Der letzte Wunsch“ ist Sapkowskis erster Teil der Saga und eine Sammlung mehrerer Kurzgeschichten. Diese sind allein durch die Hauptfigur verbunden und machen es Lesern damit leicht, einfach in diese Welt einzutauchen, ohne sich mit komplizierten Zusammenhängen, Figurenkonstellationen oder komplexen Machtgefügen auseinanderzusetzen. Meiner Meinung nach ist das eine große Stärke des Buches, denn ich hasse es normalerweise, wenn ich beim Lesen ständig eine Liste der agierenden Figuren oder gar eine Übersicht miteinander verfeindeter oder befreundeter Lager und allem dazwischen bereithalten muss.
Die einzelnen Geschichten sind in sich abgeschlossen und lesen sich gleichermaßen wie eine Hommage auf bekannte Märchen und auch eine Parodie dieser. Oft erscheint die Handlung auf den ersten Blick allzu bekannt, um dann aber zu kippen und eine ganz andere Sichtweise aufzuzeigen. Sapkowski gelingt es dabei großartig, menschliche Züge oder vielmehr egoistische Beweggründe aufzuzeigen, die dann auch deutlich machen, warum Geralt mit den Menschen nicht mehr als nötig zu tun haben will.

Nichts sagen sagt manchmal mehr

Eine weitere Stärke des Autors sind die pointierten Dialoge, die sich auch häufig dadurch auszeichnen, dass der Hexer in bestimmten Situationen nichts sagt und damit zwischen den Zeilen umso mehr. Gerade für das Genre Fantasy empfinde ich die Sprache Sapkowskis als ausgefeilt und eben angenehm unpathetisch.
Eine weitere ganz große Stärke sind meiner Meinung nach die Kampfszenen. Im Spiel sind die Kämpfe elementar wichtig, was sich natürlich auch im Buch widerspiegelt. Während solche Szenen in vielen anderen Büchern aber jene sind, die ich höchstens quer lese, weil sie entweder viel zu ausufernd und damit langweilig sind oder aber schlicht nicht nachvollziehbar geschildert werden, sind sie bei Sapkowski knackig und plastisch gehalten und haben bei mir für actionreiches Kopfkino gesorgt.

Märchenbuch, das Genregrenzen überschreitet

All das macht „Der letzte Wunsch“ zu einem ganz besonderen Märchenbuch, eines, das Genregrenzen überschreitet. Für meinen Geschmack war es nie zu komplex, aber dabei auch nie klischeehaft und oberflächlich, zum Glück nicht moralisch überfrachtet und durchgehend spannend. Es verzichtet auf ausufernde Beschreibungen, zeichnet aber sehr klare Figuren und allen voran die Hauptfigur Geralt hat mich absolut gepackt und Lust auf mehr gemacht.

Zum Glück gibt es ja noch sieben weitere Bücher der Hexer-Saga und wenn die nicht ausreichen auch noch Verfilmungen und natürlich die Spiele, von denen ich – wie vermutlich viele von euch – bisher nur den dritten Teil kenne. Dass Andrzej Sapkowski den Adaptionen seines Werkes äußerst kritisch gegenübersteht, ist ja zum Glück eher sein Problem als meins.

 

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