Kultur

04.12.2019

Wovor fürchtest du dich?


Neugierige Fragen an die Youtuberin SeelenSplitter

von Christian Dolle

„SeelenSplitter“ nennt sie sich auf Youtube, vertont dort Horrorgeschichten, sogenannte Creepypastas und erreicht mit ihrem Kanal über 6500 Abonnenten. Seit ich auf meinem Kanal „CrYzZ Storys“ selbst eigene Geschichten einlese, habe ich relativ schnell Kontakt zu einigen „Kollegen“ bekommen. So eben auch zu SeelenSplitter, die auch weiß, dass ich im normalen Leben als Journalist arbeite.

Jetzt ist sie für den diesjährigen Youlius-Award nominiert, ein Preis für kleinere Videokünstler, der dazu dient, diese bekannter zu machen, aber in erster Linie eben auch der Vernetzung. Weil sie ihre Nominierung gerne in den Medien ihrer Region verbreiten wollte, rief sie mich an und fragte, ob ich ihr Tipps geben könnte, wie sie die Zeitungen überhaupt anschreiben soll.
Einfach nur Zeitungen anschreiben ist doch langweilig, sagte ich und überredete sie zu einem Interview, da ich den Kanal SeelenSplitter auch wirklich interessant finde. Hier ist es also und ich bin mal gespannt, ob der eine oder die andere dadurch nicht Lust auf ihre Vertonungen bekommt.

Auf dem Youtube-Kanal „SeelenSplitter German Creepypasta“ veröffentlichst du Videos, in denen du Horrorgeschichten vertonst. Wie oft wirst du gefragt, was Creepypastas überhaupt sind und was antwortest du darauf?

Eigentlich kommt diese Frage erstaunlich selten. Alle Jubeljahre beschwert sich mal der ein oder andere, der aus unerfindlichen Gründen glaubt, es würde sich um einen Kanal mit Berichten über wahre Begebenheiten handeln.

Dann versuche ich zu erklären, dass es sich bei Creepypastas um ein Genre handelt, dass auf dem Gefühl basiert, sich am Lagerfeuer Geschichten zu erzählen. Solche Lagerfeuergeschichten haben sich ja ursprünglich häufig des Stilmittels bedient, als vermeintlich wahr zu gelten. Der Schwester, der Mutter meines Cousins ist mal folgendes passiert. Die Idee des Wahrheitsgehaltes, jagt einem oft einen zusätzlichen Schauer über den Rücken. Geschichten, die immer weiter getragen werden und sich dadurch mitunter auch verändern und weiterentwickeln.

Hierbei handelt es sich nun um die Onlinevariante dessen. Creepy gleich gruselig und Pasta kommt von Copy and Paste… gruselige Geschichten, die weitergetragen werden.

Nun ist es so, dass du nicht einfach nur Geschichten vorliest, sondern sie auch mit Musik und atmosphärischen Sounds unterlegst. Wie lange arbeitest du durchschnittlich an einem Video?

Das ist sehr schwer zu sagen. Es hängt von mehreren Faktoren ab. Übersetze ich die Geschichte vorher noch selbst ins Deutsche, wie lang ist die Geschichte, brauche ich mehrere Sprecher, wie aufwändig ist sie von den Effekten her und wie schnell finde ich Musik-, Bild – und Videomaterial, das stimmig ist und die Atmosphäre gut untermauert.

Bei Videos von wenigen Minuten Länge ist das innerhalb einiger Stunden oder einem Tag geschafft. Alles, was mehr als 15 Minuten lang ist, kann durchaus Tage bis Wochen in Anspruch nehmen. Denn ich mache das ja auch nicht hauptberuflich, sondern in meiner Freizeit und habe weder regelmäßig 8 – 10 Stunden am Stück freie Zeit zur Verfügung, noch einen Stab von Autoren, Komponisten, Übersetzern und Cuttern zur Seite, die mir helfen. Ich bin gewissermaßen ein Ein-Personen-Unternehmen.

Und woher kommen die Geschichten? Hast du in deinem Keller vielleicht geknebelte und gefesselte Autoren sitzen, die du zwingst, für dich zu schreiben?

Oh nein… jetzt ist es raus. Ich lebe in einem Spukhaus mit Geistern, habe schon unzählige Psychopathen getroffen und schon sehr viele Menschen getötet, nur im Geiste der Youtube-Kreativität. Und natürlich habe ich all das selbst erlebt, was da ich da so in den Geschichten erzähle.

Spaß beiseite. Die Texte kommen aus sehr unterschiedlichen Quellen. Vereinzelt habe ich auch mal selbst geschrieben, aber auch wenn ich gern mit Sprache umgehe, so bin ich doch keine Autorin und selbst schreiben würde wohl den zeitlichen Rahmen sprengen.

Ich bin sehr dankbar darüber, wie viele wundervolle Autoren es gibt, die ihre Geschichten teilweise zur Vertonung zur Verfügung stellen, solange man Quelle und Autor benennt. Teilweise stehe ich mit tollen, auch englischsprachigen Autoren in Kontakt, die mir die Erlaubnis zum Übersetzen und Vertonen geben und manche schreiben sogar individuell für meinen Kanal, weil sie mögen, wie ich die Geschichten interpretiere und sich freuen sie von mir zu hören und so einem interessierten Publikum präsentieren zu können.

Toll ist es auch immer, wenn sich Mitglieder meiner Hörerschaft als begabte Autoren entpuppen und auf diese Weise meinen Kanal mitgestalten.

Da es sich um einen Youtube-Kanal handelt, gibt es natürlich auch eine Video-Fassung dieses Interviews:

Wie fing eigentlich alles an? Also wie kamst du auf die Idee zum Kanal?

Ich war schon immer ein extremer Hörbuchfan und habe sehr vieles in dieser Richtung verschlungen. Auch von Hobby-Vertonern auf Youtube.
Irgendwann keimte, wie ein Gedankenblitz, der Wunsch auf, sowas auch mal zu versuchen. Erst waren es allgemein Geschichten jeden Genres, bis ich von einem lieben Youtube-Kollegen gefunden und nach Zusammenarbeit gefragt wurde. Durch ihn lernte ich das Genre Creepypasta kennen und lieben.

Hat der Name SeelenSplitter eine tiefere Bedeutung?

Der Name ist tatsächlich bei einem Brainstorming mit lieben Menschen entstanden. Wir haben mit leicht düster klingenden Begriffen um uns geworfen und ausdrucksstarke Namen gesucht. Die Idee dahinter war es, zum Ausdruck zu bringen, dass in die Geschichten und in die Arbeit an dem Kanal viel Seele einfließt, bzw. sie die Seele emotional berühren und kleine und größere Schrecken durchaus mal etwas zum Splittern bringen können. Und irgendwie steckt in jeder Geschichte vielleicht auch ein Splitter meiner Seele, im Sinne von Herzblut. Dieser Begriff kam dann schnell in die engere Wahl, weil er so viel Inspiration für ein stimmiges Kanalkonzept bot.

Du hast inzwischen etwa 6500 Abonnenten, was sind das für Menschen, die sich im Internet Horrorstorys anhören?

Es sind tatsächlich sehr unterschiedliche Menschen.
Ich war immer sehr glücklich in meiner Community auf sehr liebe, dankbare Menschen zu treffen. Das Alter ist sehr gemischt.

Besonders glücklich hat mich allerdings immer Feedback gemacht, in dem mir Leute für das, was ich tue dankten, weil es ihnen in ihrem eher traurigen, schweren oder belastenden Alltag ein paar schöne Momente schenkt. Es kam schon vor, dass mir Menschen mit einer Sehbehinderung oder Lernschwäche schrieben, denen das Lesen der Geschichten sehr schwer fällt, und die so trotzdem auf entspannte Weise in deren Genuss kommen.

Viele hören die Geschichten tatsächlich auch gern zum Einschlafen.

Jetzt bist du sogar für den Youlius Award 2020, ein Preis mit dem kreative Videomacher gefördert werden, in der Kategorie Musik, Kunst & Kultur nominiert. Wie fühlt sich sowas an?

Da kann ich nur sagen: Wow! Es ist eine riesengroße Ehre neben so vielen anderen, wirklich tollen und kreativen Menschen in der engeren Wahl zu sein.
Ich bin vor allem dankbar für die Chance, auf diese Weise, so viele spannende Menschen treffen und vielleicht kennenlernen zu dürfen.

Bist du jetzt von Lampenfieber zerfressen oder gehst du eher entspannt an die ganze Sache heran?

Gar nicht. Ich gehe tatsächlich entspannt an die Sache ran, weil die Nominierung schon mehr ist, als ich erwartet hatte. Für mich war es mehr das Gefühl dabei sein zu wollen. Einige liebe Kollegen hatten sich auch beworben und ich dachte, hey, machst du auch mit, vielleicht triffst du die dann ja mal. Ist doch ein schöner Anlass.
Ich freue mich eigentlich nur auf die Veranstaltung und die Party danach.

Youtube ist und bleibt also ein Hobby für dich und du machst es, weil es dir Spaß macht und nicht, um eines Tages so berühmt zu werden wie Steven King oder H. P. Lovecraft?

Nein. Ich habe einen Job, der mich ausfüllt, den ich gut kann und der mir auch Spaß macht.
Berühmt sein kostet viel Zeit, Nerven, Kraft und Disziplin. Egal in welchem Bereich, wir wissen alle, dass es immer nur 1% Begabung ist, der Rest sind Schweiß und harte Arbeit. Da bleiben dann durchaus auch eine Menge Privatleben und Freiheiten auf der Strecke.

Apropos King und Lovecraft, gibt es Horrorautoren, die du besonders magst?

Wooow! Ja, die genannten sind schon großes Kino. Ich habe mich ja auch schon einmal an Lovecraft versucht. Aber tatsächlich gibt es auch unter den Hobbyautoren ganz, ganz wundervolle Begabungen. Die Reihenfolge ist gerade willkürlich. Vorn mit dabei sind: Angstkreis, Horrorcocktail (beide aus dem Creepypasta Wiki), NachtmahrTV (ein Youtubekollege), Gruselgeschichtn (eine ganz junge Autorin von Instagram), Cryzz (der Liebe Journalist, Youtubekollege und wunderbare Autor, mit dem ich hier gerade spreche), BLACK FRIDAYS WITCH 13 (englischsprachige Autorin von reddit), Dopabeane (englischsprachige Autorin von reddit), Sebbolaps (grandioser, kreativer und lieber Autor und inzwischen guter Freund, den ich über meine Community kennenlernen durfte), Mel Creepson (Liebe, kreative Autorin, die Germanistin ist, glaube ich), Tales of Cthulu, der selbst schreibt und aufwändige Hörspiele für Youtube produziert und es gibt noch so viele mehr, die Erwähnung und Aufmerksamkeit verdienen…

Gibt es bei all den Horrorgeschichten, die du vertonst, eigentlich noch etwas, wovor du dich richtig fürchtest?

Ganz, ganz vieles. Tatsächlich bin ich ein totaler Angsthase. Diese Geschichten, die ich verwende haben für mich vor allem den Reiz, dass sie emotional berühren, mitunter sogar traurig sind und zum Nachdenken anregen, aber auch die Möglichkeit bieten mit der Stimme in alle nur erdenklichen Rollen zu schlüpfen. Sie bieten mir die Chance jede Emotion nach zu empfinden und zu interpretieren. Hierdurch fungiere ich als Schauspieler und habe eine gewisse, professionelle Distanz, auch wenn mein Credo ist: Ein guter Sprecher sollte die Rolle nicht spielen, er sollte sie sein. Das versuche ich und bin, im Rahmen meiner Möglichkeiten in jeder Rolle so authentisch, wie es mir nur möglich ist. Auch wenn ich kein Profi bin und es nicht immer perfekt gelingt.
Aber im echten Leben, oder bei Horrorfilmen bin ich so ängstlich und Schreckhaft, dass es sehr witzig ist, sich mit mir gemeinsam so etwas anzusehen.

Am beängstigendsten sind für mich tatsächlich Gewalt und Folter, sowohl psychischer, als auch physischer Natur. Da bin ich wirklich raus.
Ich gehöre zu den Leuten, die bei Jumpscares gellende Schreie ausstoßen, die Hände meiner Begleitung zerquetschen und sich die Augen zuhalten.

Von Alfred Hitchcock gibt es den schönen Satz, dass ein Blick in die Welt beweise, Horror sei nichts anderes als Realität. Meinst du, er hat recht?

Den wahren Horror schreibt tatsächlich das Leben selbst. Das merkt man oft auch daran, dass die gruseligsten Geschichten oft jene sind, welche auf scheinbar völlig alltäglichen Situationen, oder auch auf Krankheiten oder zwischenmenschlicher Qual bestehen, die tagtäglich vorkommen und jedem von uns passieren können und wie sehr gerade solche Themen ein breites Publikum berühren und ansprechen.
Insofern, ja! Ganz klares Ja. Ich gehe mit dieser Aussage eindeutig konform.

Bevor wir uns jetzt im Philosophieren über das Wesen der Welt verlieren, sag doch mal, warum lohnt es sich denn für diejenigen, die dich noch nicht kennen, den Kanal „SeelenSplitter“ zu besuchen?

Man preist sich ja ungern selbst an und zweifelt auch öfter mal an dem was man tut. Darum möchte ich mich hier an Aussagen halten, die ich häufig von Zuhörern, Autoren und Youtube-Kollegen zu hören bekomme:
An meine Produktionen gehe ich mit sehr viel Herzblut, Liebe zum Detail und Akribie heran.

Ich versetze mich, sowohl im Erzählerpart, als auch in Dialogen stark in die Charaktere und Situationen hinein und das hört man in meiner Umsetzung. Diesbezüglich habe ich vom Voiceacting her wohl eine recht große Range und bin durchaus auch Risiko –und Experimentierfreudig.

Bei der Wahl meiner Geschichten gehe ich häufig danach, dass sie zum Nachdenken anregen und emotional berühren.
An meiner Community versuche ich recht nahe dran zu bleiben und immer mit jedem auf einer Augenhöhe zu kommunizieren. Auch Kritik nehme ich mir sehr zu Herzen und versuche sie bestmöglich umzusetzen und mich immer weiter zu entwickeln.
Meine Stimme ist wohl einerseits sehr beruhigend vom Klang her und dennoch vermag ich es häufig die Spannung auch über einen längeren Zeitraum aufzubauen und aufrecht zu erhalten.

Vielen Dank für das Interview.



 

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