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12.11.2019

Quo vadis, Europa?


Hans Eichel, Politiker a.D., referierte über Europa

Der Lions-Club Südharz hatte mit Hans Eichel einen prominenten Redner eingeladen.

von Ralf Gießler

Osterode) Unter dem Thema "Europa - wie geht es weiter?" hatte der Lions-Club Südharz am 6. November in das Forum der BBS II eingeladen. Der Abend begann mit einem Empfang, bevor Dr. Stefan Wahle als Präsident des Clubs das Wort an die zahlreichen Gäste richtete. Bereits in der Vergangenheit habe es Veranstaltungen dieser Art mit Prominenten gegeben, berichtete Dr. Wahle. Bei seiner Suche nach einem passenden Redner im Internet sei er schließlich auf Hans Eichel gestoßen.

Da Eichels Wohnort Kassel quasi der Nachbarkreis von Göttingen sei, entschloss er sich zu einer Anfrage. Die Zusage kam prompt, und ein interessantes Thema war schnell gefunden. Hans Eichel hatte während seiner aktiven Zeit in der Politik wichtige Posten inne. Oberbürgermeister von Kassel, Ministerpräsident von Hessen, Bundesratspräsident und Bundesminister der Finanzen gehörten zu seinen Karrierestationen.

Europa erlebt seit der Gründung der Europäischen Union (EU) politisch unruhigste Zeiten. Der im Ergebnis noch offene Brexit ist eines von vielen ungelösten Problemen dieser Tage. Krisen verschiedener Art, wie zum Beispiel in Afrika und die daraus resultierende Flüchtlingssituation, das angespannte Verhältnis zwischen Europa und der Türkei oder auch ein festzustellender Rechtsruck in einigen EU-Ländern, sind beunruhigend. Gleich zu Beginn bemerkte Hans Eichel, dass er zwar keine politischen Ämter mehr bekleide, jedoch nach wie vor ein politischer Mensch sei. Besonders Europa sowie der Klimawandel und die Finanzpolitik würden ihn interessieren. Obwohl im aktuellen Koalitionsvertrag ein neuer Aufbruch für Europa explizit benannt worden sei, passiere jedoch aus seiner Sicht nichts so richtig.

Bevor Hans Eichel eine Analyse der aktuellen Situation sowie eine Prognose der Veränderung der politischen und wirtschaftlichen Landschaft Europas abgab, blickte er weit zurück in die Geschichte. In der europäischen Historie habe es immer wieder Menschen gegeben, in deren Handeln besonders die Idee eines vereinten Europa zum Ausdruck gekommen sei. Sie haben spätere Generationen zur Weiterentwicklung dieses Gedankens ermuntert. Schon 1795 forderte der Philosoph Immanuel Kant in seinem Buch "Zum ewigen Frieden" das "Völkerrecht“ ein, in dem die Verbindlichkeit zwischenstaatlicher Abkommen gewährleistet und das "auf einen Föderalismus freier Staaten gegründet sein“ sollte. Eine Föderation der europäischen Staaten quasi als Bedingung für den Frieden.

"Europa war einst ein Projekt der Völker, kein Elitenprojekt. Auch ist Europa keine Absage an die Nationalstaaten", stellte Eichel fest. Es folgte ein geschichtlicher Rückblick der Entwicklung der Europäischen Union bis zum heutigen Tage. Es sei schlichtweg falsch, dass Frankreich darauf bestanden habe, den Euro einzuführen, um der deutschen Wiedervereinigung zustimmen zu können. Die Vorarbeiten für eine gemeinsame Währung hätten schon weit vor einer Möglichkeit zur Wiedervereinigung in den 1960er Jahren statt gefunden. Der Euro sei in London und New York nicht beliebt, da er Spekulationen schwieriger gemacht habe. Eichel zitierte den ehemaligen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors, der einst sagte, dass nur dann Europa gelingen könne, wenn es in Europa voran ginge. Eichel verteidigte den Euro und erläuterte, dass die Krise 2008/2009 viel heftiger verlaufen wäre, wenn es ihn nicht gegeben hätte.

Er betonte die Wichtigkeit der Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland. "Jean-Claude Juncker als Präsident der Europäischen Kommission sagte einmal: Wenn Deutschland und Frankreich sich einig sind, sind alle anderen Länder sauer, weil sie dann hinterher müssen. Bei Uneinigkeit der beiden sind die anderen auch sauer, weil sie dann nicht wissen, wo es lang geht." Den Vorschlag des französischen Präsidenten Macron, einen Haushalt für die Euro-Zone aufzustellen, halte er für vernünftig. Es folgte ein Blick in die Gegenwart und Zukunft. Eichels Meinung nach blieben die Vereinigten Staaten Amerikas eine Supermacht. Die USA und jetzt auch China würden das Internet beherrschen. Europa sei Weltwirtschaftsmacht Nr. zwei. Eichel war sich sicher, dass sich die USA im Handelskrieg mit China die Zähne ausbeißen werden: "Wenn wir klug sind, an uns auch." Russland sei nur militärisch stark, denn das russische Bruttoinlandsprodukt sei nur halb so hoch wie das deutsche. Als kommende Weltmacht wurde Indien ausgemacht.

Eichel prangerte es als Unding an, dass Afrika, Indien und Südamerika nicht im Weltsicherheitsrat vertreten seien und forderte eine Reformierung der Vereinten Nationen. Aus seiner Sicht war die Konstellation mit Helmut Kohl, François Mitterrand und Jacques Delors gut für Europa gewesen, ebenso die mit Gerhard Schröder und Jacques Chirac. Schon Altkanzler Helmut Schmidt habe einmal bemerkt, dass ein Problem in Europa sei, keine Staatsmänner mehr zu haben. Hans Eichel würde zur Zeit nur einen als Mann mit Rückgrat sehen: "Und das ist Emmanuel Macron." Es sei nicht gut gewesen, ihn "liegen" zu lassen.

Dr. Wahle lobte die Ausführungen und das Engagement von seinem Gast. Es folgte eine kleine Gesprächsrunde, u.a. mit der Frage, wie Eichel die Rolle der Parteien in Bezug auf Europa bewerten würde. "Bis zu Helmut Kohl war die CDU eine große Europapartei. Die FDP reitet nur auf Regeln herum. Für meine SPD wünsche ich mir, sie wäre mutiger. Die Linkspartei ist gespalten, und über die AFD müssen wir nicht reden."

Auf die Frage, ob Deutschland in Hinblick auf das Klima noch die Kurve kriegen würde, erwiderte er: "Ich war, was das Klimapaket betrifft, ein bisschen traurig. Ich glaube, die Bürger sind weiter als die Regierung, ich hoffe, wir packen das noch." Es war ein Abend, geprägt durch ein Plädoyer eines Politikers für Europa, der zwar kein Amt mehr inne hat, dessen Herz aber deutlich für Europa schlägt.


Hans Eichel mit Dr. Stefan Wahle, Präsident vom Lions-Club Südharz

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