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22.10.2019

Gekommen um zu bleiben


Gastarbeiter der ersten Jahre erzählten ihre Geschichte

von Wolfgang Böttner

Vor über 50 Jahren kamen sie in die Bundesrepublik und berichteten im Erzählcafé am letzten Freitag von ihren Erlebnisen in einem für sie fremden Land. Ilyas Cangöz, ein Türke - Loukas Maniatis, ein Grieche und Antonio Giuri, ein Italiener.
Musikalische Zwischentöne gab es mit dem griechischem Lied "Arnisi" und dem italienischen Lied "Bella Ciao", gesungen von Brigitte Maniatis und gespielt von Richard Chajek an der Gitarre.

Ilyas Cangöz, Jahrgang 1957, stammt aus der Osttürkei und sollte eigentlich am 6. September 1972 nach Deutschland kommen. Er schaffte es aber erst im 2. Anlauf am 21. September. Beim ersten Mal hieß es, kein Flug nach Deutschland. Der Flughafen München war wegen des Angriffs auf die israelische Olympiamannschaft gesperrt. Er musste wieder 1400 Kilometer von Istanbul zurück in sein Heimatdorf fahren und war fast 2 Tage unterwegs. Als er endlich im 2. Anlauf nach Deutschland kam, er war 15 Jahre alt, fand er Unterkunft mit weiteren Türken in Dinslaken, in einer deutschen Familie, die dafür bezahlt wurde. Er fühlte sich dort wohl und nannte die Gasteltern "Vater" und "Mutter". An das Essen musste er sich allerdings erst gewöhnen. In der Türkei gab es immer Brot zu allen Speisen. "Mutter! Brot!" waren damals geflügelte Worte.

Richtig Deutsch hat Ilyas erst im Harz, in Herzberg, gelernt. Die türkische Kultur hat aber immer noch einen Platz in Ilyas Cangöz Leben. In der Türkei verbringt er seinen Urlaub. Für ihn ist jedoch die Lebensqualität in Deutschland besser. In den 80er Jahren erlebte er in Herzberg auch eine gewisse Ausländerfeindlichkeit. Mehrfach wurden dort Aleviten angegriffen.

Loukas Maniatis kam, nachdem sein Vater gestorben war, am 2. Februar 1966 im Alter von 14 Jahren mit seiner Mutter nach Deutschland. Zwei seiner Brüder waren bereits da. Beeindruckt war Loukas vom Regen in Deutschland, den kannte er so aus seiner alten Heimat nicht. Seine erste Station war Schelklingen, eine Stadt in Baden-Würtemberg. Er fand Arbeit in einer elektrotechnischen Fabrik in Blaubeuren. Wohnte mit Mutter und einem Bruder in zwei Zimmern einer Gastarbeiterbaracke. Er war erstaunte über die Beziehung einer schönen verheiratende Frau mit einem griechischem Arbeiter, die der Ehemann akzeptierte, was für einen Südländer damals nicht denkbar war.

Loukas war gegen die damalige Diktatur in Griechenland, laß viele politische Texte. Nachdem er in Frankfurt als Drucker gearbeitet hatte, bekam er in Darmstadt eine Zulassung zum Hochschulstudium ohne Reifezeugnis. Auch er machte die Bekanntschaft mit Menschen, die Ausländer beschimpften und unfreundlichen Polizisten und Grenzbeamten. Heute könnte sich Loukas nicht mehr auf das griechische Leben umstellen. Für den  komplizierten und unberechenbaren Umgang mit dortigen Behörden hat er keine Geduld mehr.

Antonio Giuri kam am 6. Juni 1961 aus Süditalien nach Deutschland und gleich als einer der ersten Gastarbeiter nach Osterode . Er war neugierig auf Deutschland. Zu seinem Papa sagte er: "Ich möchte nach Deutschland." Seine Freunde erzählten: "das Geld liegt auf der Straße." Sein Plan war, 1-2 Jahre bleiben und dann zurück nach Italien. Doch am ersten Arbeitstag bei Kamax lernte er seine jetzige Frau kennen, mit der er seit 57 Jahre verheiratet ist und drei Kinder hat. Anfangs hat er mit anderen Italienern in der Papenhöhe gewohnt, Auch ihm machte das weniger gute und kühle Wetter zu schaffen. Die deutsche Sprache hat er allein gelernt. Er wollte sich unbedingt mit seiner Freundin und späteren Frau unterhalten. Er kaufte sich bei Schwenn am Kornmarkt ein italienisch-deutsches Wörterbuch und lernte nach Feierabend fleißig im Wald bei Papenhöhe. Nach vier Wochen klappte es schon ganz gut.

Sein zweiter Arbeitplatz war, bis zu deren Insolvenz, die Firma Gärtner in Lerbach. Dort war er 21 Jahre lang als angelernter Maschinenbauer tätig. Jetzt war er erst einmal arbeitslos. Mit 44 machte er dann eine Lehre bei Piller zum Facharbeiter. Hier blieb er bis zur Rente. Antonio fühlte sich von den Deutschen immer gut behandelt. Nur gab es Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche als Familie mit 2 Kindern. Angeblich seien die Italiener "faul" und "schmutzig", ein Vorurteil, das Antonio Giuri widerlegt hat. Kurzerhand hat er dann selbst mit Hilfe von Freunden ein Haus gebaut.

Zum Schluß gabe er noch eine Anekdote zum Besten. Als er in Papenhöhe gewohnt hatte, fuhr er immer vom Haltepunkt Papenhöhe mit der Bahn zum Kurpark in Osterode zum Tanzen. Spät abends wollte er mit seinen Freunden zurück mit der Bahn. Es fuhr aber kein Zug mehr. Da kamen sie auf die Idee vom Kurpark aus zu laufen. Der beste Weg wäre schließlich immer an den Schienen entlang. Nach einer Stunde merkten sie, daß sie in die falsche Richtung gelaufen waren. Sie kamen in Badenhausen raus. Die Freunde fanden das gar nicht komisch.

Die Zuhörer lauschten mit Interesse und teilweise mit Amüsement den Geschichten der drei Erzähler und entliesen sie am Ende mit viel Beifall.


Die folgenden Bilder können Sie vergrößern, wenn Sie ein Eseltreiber-Abo haben:


Brigitte Maniatis

Richard Chajec


Ilyas Cangöz

Loukas Maniatis

Antonio Giuri


Antonio Giuri und seine deutsche Ehefrau

 

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