Kultur

21.10.2019

Entspannter Ritt durch die Welt jenseits der Realität


Janette Rauch erzählte im Welfenschloss Märchen aus der Mongolei und aus Russland

von Christian Dolle

Als in der Mongolei einst die schwarzen Pocken wüteten und viele Todesopfer forderten, gehörte auch ein blinder Junge dazu. Doch seine Seele lebte weiter und ging auf Reisen, denn er war noch nicht wirklich tot. Die Seele gelangte in die Hölle, doch da ihre Zeit noch nicht gekommen war, wurde ihr ein Wunsch gewährt. So wünschte sie sich die Märchen, kehrte in den Körper zurück und der blinde Junge erwachte und wurde zu einem gefeierten Hellseher und Märchenerzähler.

Mit dieser Geschichte begann Schauspielerin Janette Rauch am vergangenen Samstag ihren Märchenabend im Schloss Herzberg. Schon seit vielen Jahren sammelt sie von überall auf der Welt jene Erzählungen, die sie für die Urgeschichten der Zivilisationen hält und die ihrer Meinung nach bis heute viele Wahrheiten überliefern. Diesmal sollte es um Märchen aus der Mongolei und aus Russland gehen.

Die Mongolen hatten einst das größte Reich aller Zeiten in dieser Welt, was wohl auch daran lag, dass sie ein sehr genügsames Volk ohne große Besitztümer sind, aber ebenso an ihren schnellen Pferden, mit denen sie bis nach Europa hin schnelle Angriffe ausführen konnten. Und, so die Erzählerin, sie hatten einen engen Zusammenhalt, der wohl auch durch gemeinsame Geschichten geprägt wird.

Vom Feuervogel und dem Elend

In einem weiteren Märchen ging es dann auch um ein Pferd, um eine weiße Stute, bevor Janette Rauch den Bogen weiter nach Russland spannte. Dort treten in Märchen im Gegensatz zu den unsrigen häufig die gleichen Figuren auf, die Hexe Baba Jaga oder der fliegende Wolf beispielsweise oder auch der Feuervogel. Um jenen ging es in einer weiteren Erzählung, genau genommen um einen Jungen Zarensohn, der ihn jagte und einige List anwenden musste, um zu bekommen, was er wollte.

Anschließend ging es dann um zwei Brüder, der eine reich, der andere arm. Der Arme muss für den Reichen arbeiten, wird von diesem jedoch nur ausgenutzt. In seinem Frust trifft er auf das Elend, das ihn zum trinken verführt, wodurch er auch noch das Letzte verliert, was er besaß. Dann jedoch führt ihn das Elend an eine mit einem großen Stein verschlossene Höhle voller Gold. Da der arme Mann ahnt, was das Elend vorhat, räumt er die Höhle leer, schickt das Elend noch einmal hinein und rollt dann den großen Stein wieder vor den Eingang.

Fortan nutzt er seine zweite Chance und wird schließlich sogar reicher als sein Bruder. Doch damit endet die Geschichte nicht, denn der Bruder ist nun neidisch und fragt, wie er zu seinem Reichtum kam. Wahrheitsgemäß erzählt er von der Höhle voller Gold, woraufhin der Bruder losgeht, den Stein vorm Eingang fortrollt und fortan das Elend buchstäblich am Hals hat.

Kultur des Erzählens und Zuhörens

Gerade mit diesem Märchen bewies Janette Rauch ihr schauspielerisches Talent, indem sie dem Elend eine unverwechselbare Stimme und damit einen eigenen Charakter verlieh. Genau darum, so darf geschlussfolgert werden, ist es auch so wichtig, dass Märchen nicht nur gelesen, sondern eben erzählt oder vorgelesen werden. Diese Kultur belebt sie mit ihren Veranstaltungen wieder, jene Kultur des Zuhörens, sich ganz auf eine Geschichte einzulassen und sie dadurch sehr plastisch und vor allem einzigartig zu erleben.

Märchen, so erläuterte sie, wurden auch durch Völkerwanderungen immer weiter verbreitet, doch während die Gebrüder Grimm gehörte Volksmärchen umschrieben, seien sie in Russland oft noch in ihrer Ursprungsform überliefert, was gerade diese Märchen für sie so reizvoll mache. So auch ein abschließendes über einen Teufel, der sich an eine junge Frau heranmacht und nicht damit rechnet, dass sie sich wohl zu wehren weiß. Auch hier konnte die Schauspielerin noch einmal voll in die Rolle abtauchen und alles wurde wie den gesamten Abend über atmosphärisch von Heiner Frauendorf am Akkordeon musikalisch untermalt.

Insgesamt also eine gelungene Veranstaltung, die aus dem Alltag ab- und in eine magische Welt jenseits davon eintauchen ließ. Sicher nicht die letzte dieser Art. „Gerade habe ich mich intensiver mit skandinavischen Märchen befasst“, sagte Janette Rauch. Und dem Harz als wunderbarem Erzählort für Märchen will sie auf jeden Fall treu bleiben.



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