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19.10.2019

Seit 20 Jahren wichtiger Teil des gesellschaftlichen Lebens


Der Bürgermeister der Stadt Herzberg Lutz Peters lobte die Arbeit des Vereins

Der Alevitische Kultur Verein feierte sein 20-jähriges Bestehen / Der Verein steht für die Gleichberechtigung und die Einhaltung der Grundgesetze

von Herma Niemann

„Wir haben als Verein in den vergangenen 20 Jahren sehr viele wertvolle Menschen kennen gelernt“, so der Vorsitzende, Ilyas Cangöz, anlässlich des 20-jährigen Bestehens des Alevitischen Kultur Vereins (AKV), zu dem am Donnerstagabend zahlreiche Gäste in das Haus des Vereins in der Hauptstraße gekommen waren. Der 2. Juli im Jahr 1993 sei für die Aleviten eine Auferstehung gewesen, so Cangöz.

Der Brandanschlag im Türkischen Sivas im Jahr 1993 war ein Angriff einer religiös motivierten und aufgepeitschten Menge auf Teilnehmer eines alevitischen Festivals und den anschließenden Brand eines Hotels. Dabei kamen 37 Personen zumeist alevitischen Glaubens ums Leben. Von diesem Moment an hätten sich viele Vereine gegründet, und auch weltweit hätten die Aleviten begonnen, sich zu organisieren. Die Vereinsgründung in Herzberg habe auch zum Ziel gehabt, die Grundgesetze der Demokratie zu wahren und zu unterstützen, so Cangöz.

„Die Aleviten stehen vor großen Herausforderungen“, betonte der Bildungsbeauftragte der Alevitischen Gemeinde Deutschland Yilmaz Kahraman „denn die Historie hat das Alevitentum stark geprägt“. Da, wo sie herkamen, nämlich aus dem Osmanischen Reich, wurden sie verfolgt, da die Osmanen keine Minderheiten akzeptierten. Gerüchte und Lügen wurden gestreut, und nach der Schlacht im Jahr 1514 seien innerhalb von zwei Jahren rund 60.000 Aleviten ums Leben gekommen. Dadurch seien ganze Landstriche entvölkert worden. Die Verunglimpfung habe sogar bis nach Deutschland gereicht, so Kahraman weiter. So habe sich die Alevitische Gemeinde im Jahr 2007 auch gegen die Ausstrahlung eines „Tatort“ mit dem Titel „Wem Ehre gebührt“ stark gemacht, der ein falsches Bild des Alevitentums darstellte. Zwar sei der Film dennoch ausgestrahlt worden, der NDR habe sich jedoch im Nachhinein entschuldigt und sogar eine kurze Reportage mit einer Richtigstellung gedreht. Momentan würde es etwa 700.000 Aleviten in 160 Gemeinden in Deutschland geben. Das Einvernehmen sei dabei das wichtigste Grundprinzip der Aleviten, so Kahraman.

Ein Grußwort kam auch von dem stellvertretenden Landrat des Landkreises Göttingen, Dr. Andreas Philippi. Der AKV sei ein wichtiger Teil der Stadt Herzberg geworden und sei Teil der Integration. Das Motto der Aleviten „Einheit in Vielfalt“ habe für alle eine große Bedeutung, nämlich, die Möglichkeit zu erkennen und damit die Demokratie zu verteidigen. „Wir wollen in Vielfalt und Einheit leben, und der Verein trägt dazu bei“, so Philippi. Der Bürgermeister der Stadt Herzberg, Lutz Peters, dankte dem AKV dafür, dass er mitten in der Gesellschaft stünde, ohne dabei seine Wurzeln zu verlieren. Auf politischer Ebene hätte man sich zwar schon oft gestritten, so Peter zu Cangöz, aber auf gesellschaftlicher Ebene sei alles wieder in Ordnung gewesen. „Wenn in Herzberg etwas los ist, ist auch auch der Alevitische Verein dabei. Diese Verlässlichkeit ist ganz besonders wichtig“.

Haydar Gencer (Vorsitzender der Alevitischen Gemeinde/Landesverband Nord) betonte in seinem Grußwort, dass man sich weiter für die Menschenrechte einsetzen werde. Die Alevitische Kultur stünde für Integration, Weltoffenheit und Hilfsbereitschaft. „Der Mensch ist Spiegelbild des Universums“, so Gencer, der beschrieb, dass die Aleviten bis in die 1970er und 1980er Jahre unsichtbar gewesen seien. Das Phänomen der Alevitischen Gemeinden, gerade in Deutschland, sei, dass es für die Vereinsgründungen der Aleviten keine Vorgängerstrukturen in der Türkei gegeben habe. „Es ist eine Erfolgsgeschichte, dass die Aleviten in Deutschland frei sind. Dennoch ist dies erst der Anfang des Weges“. Man leiste gute Arbeit in Herzberg und gestalte dort auch das alltägliche Leben. Einen besonderen Dank richtete Cangöz an die Mitglieder und im Besonderen an die Frauen, die erheblich zu dem Gelingen dieser Feierlichkeit beigetragen haben. hn

 

Die Alevitische Gemeinde Deutschland

(türkisch: Almanya Alevi Birlikleri Federasyonu, AABF) ist der Dachverband der alevitischen Gemeinden in Deutschland. Sie vertritt die in ihr organisierten Aleviten, welche die zweitgrößte Religionsgemeinschaft nach dem sunnitischem Islam innerhalb der konfessionell gebundenen türkeistämmigen Migranten in Deutschland bilden. Der Verband wurde 1989 gegründet. Die Glaubensgemeinschaft der Aleviten entwickelte sich im 13. und 14. Jahrhundert in Anatolien aus dem schiitischen Zweig des Islam. Sie treten für Toleranz und die Gleichstellung der Geschlechter ein. Vom türkischen Staat werden sie bis heute diskriminiert. Zu den Zielen gehören die Wiederbelebung des Alevitentums, die Integration und Partizipation ihrer Mitglieder in der deutschen Gesellschaft und die Erteilung eines eigenen Religionsunterrichts. Die erste Zulassung des alevitischen Religionsunterrichts erfolgte im Schuljahr 2006/2007 in Baden-Württemberg.


Der Vorsitzende Ilyas Cangöz begrüßte die Gäste im Haus des AKV-Vereins in der Hauptstraße

Yilmaz Kahraman berichtete über die Historie der Alevitischen Gemeinde in Deutschland

Die folgenden Bilder können Sie vergrößern, wenn Sie ein Eseltreiber-Abo haben:



Ilyas Cangöz und Dr. Andrea Philippi

Der Vorsitzende des Landesverbandes Haydar Gencer

 

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